Für Kirchturm und Minarett gelten gleiche Bedingungen im säkularen Staat

Die Türme des Kölner Doms

Wer für Kirchtürme sei, müsse auch für Minarette sein, so Rainer Maria Kardinal Woelki in einem Interview mit dem Domradio. Dabei nahm der Kardinal Bezug auf die Verfassung unseres Staates und die darin verankerte Religionsfreiheit. Mithin, so der Kardinal sei sowohl die eine als auch die andere Religion mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Aussage des Kardinals richtete sich explizit gegen Politiker und Anhänger der AfD, die nach Ansicht des Kardinals den Islam nicht mit dem Grundgesetz vereinbar halten.

Mit einer solchen Aussage ist ein dramatischer theologischer Spannungsbogen eröffnet. Es ist das Baurecht betroffen, welches vor allem kommunales Recht ist. Letztendlich die Frage nach dem Staat und der Religion. Es ist zweifelhaft, ob sich der säkulare Staat und die Religion überhaupt miteinander vertragen und welchem Verhältnis sie zueinander stehen. In Deutschland gewährt die Verfassung nicht etwa Religionsfreiheit, wie oft behauptet wird. Vielmehr garantiert der GG Artikel 4 die Freiheit eines jeglichen weltanschaulichen Bekenntnisses und schließt die Religion ausdrücklich ein. Zum anderen wird die ungestörte Ausübung der Religion garantiert. Der säkulare Staat und die Religion stehen offensichtlich in einem Spannungsverhältnis, der es nötig macht, im religiösen Bereich Freiheiten zu garantieren und diesen Garantien Verfassungsrang zu geben. Wir sollten uns das bewußt machen, denn das genaue Gegenteil wäre ebenso möglich.

Diese Freiheit ist ein hohes Gut, da insbesondere das Christentum für den europäischen Raum Identität und Kultur gestiftet hat. Wir atmen quasi fortwährend christliches Gedankengut, wenn wir hier leben. Nur wenige Jahre zuvor gab es im sogenannten Ostblock, der Einflußsphäre des früheren Sowjetkommunismus Staaten, die sich ebenfalls als Demokratien (genauer: Volksdemokratien) bezeichneten und der Religion sowie der Religionsausübung explizit feindlich gegenüber standen. Diesen Staaten war kein Bestand gewährt, weil sie auf einem weltanschaulichen Fundament standen, das nichts zu tragen in der Lage ist. Der Konflikt Staat vs. Religion spielte in der Tat eine sehr große Rolle beim Untergang des Kommunismus. Im unserem westlichen spannungsgeladenen Verhältnis des Staates zur Religion macht der Artikel 4 unseres Grundgesetzes keinen Unterschied zwischen den Religionen. Der Staat betrachtet alle Religionen als gleichwertig oder gleich wertlos, je nach persönlicher Sichtweise.

Diese Spannung auszuhalten hat es in der Vergangenheit ermöglich, als Kirche im säkularen Staat zu existieren. Diese Spannung ist eine Errungenschaft, die sich bewährt hat. Denn sie verschafft bestimmten Glaubensgemeinschaften – z.B. der Kirche – sogar die Möglichkeit innerhalb des Staates als Körperschaften öffentlichen Rechts einen besonderen Status einzunehmen. Das funktioniert allerdings nur, weil die Kirche in ihren unterschiedlichen Gliederungen Aufgaben für das Gemeinwohl übernimmt und sich dabei an die Gegebenheiten des Staates hält. Zwar ist eine katholische Schule in der Art, wie Schule ist, idealerweise vom Glauben geprägt, dennoch bestimmt ein staatliches Ministerium resp. nachgeordnete Behörden den Inhalt des Unterrichts. Wir alle wissen um die Spannungen, die entstehen, wenn säkulare Bekenntnisse (z.B. Genderideologie) Bestandteil des Schulunterrichts werden sollen. Konflikte treten auf, wenn der Widerspruch zu gravierend wird. Bislang konnten immer noch Wege gefunden werden oder es wird danach gesucht. Ob in 20 Jahren noch öffentliche Schulen von der Kirche betrieben werden können, kann niemand sagen.

Religionsgemeinschaften, die diesen lebendigen Austausch mit dem Staat gewährleisten können, sind in der Lage sich unter Beibehaltung ihrer Identität in den Staat zu integrieren. Religionsgemeinschaften, die das nicht zu tun in der Lage sind, können diesen Status nicht erlangen. Es beginnt schon damit, daß der Staat keinen Ansprechpartner findet, der für eine nennenswerte Anzahl von Gläubigen sprechen könnte. Da Kulturhoheit bei den Ländern liegt, wäre es nötig eine Organsisationsgröße vergleichbar der eines Bundeslandes zu haben, um auf Augenhöhe miteinander reden zu können. Ein katholisches Bistum oder eine evangelische Landeskirche können das gewährleisten. Eine vergleichbare Organisationseinheit sucht man im Islam vergeblich.

Das Spannungsverhältnis Staat zur Religion entspannt sich dadurch, daß ähnlichgroße Organisationseinheiten miteinander zu tragfähigen Vereinbarungen kommen. Man mache sich keine Illusionen, zwischen Staat und Kirche hat es seit 1803 immer wieder heftig gekracht. Die Enteignung kirchlicher Güter war durchaus existenzbedrohend. Die dafür zu leistende Entschädigung mußte die Kirche erst einmal erstreiten. Auch in anderen Bereichen war die Entflechtung schwierig. Baulasten von Kirchtürmen sind manchmal erst in den letzten Jahrzehnten von den Kommunen auf die Kirchengemeinden übergegangen.
Kirchtürme waren historisch auch Wach- und Wehrtürme. Ihnen kommt also neben der religiösen Bedeutung auch eine historische und kulturelle Bedeutung zu.

Keine Kirchengemeinde würde heute noch so hohe Türme bauen. Es gibt keine neu zu bauenden Kathedralen, doch man darf annehmen, daß keine Kathedrale heute noch Türme bekäme, die so hoch sind, wie der z.B. die Türme des Kölner Doms. Man kann fragen, warum das so ist. Bis heute darf in Paderborn kein Bauwerk höher sein als der Turm des Doms. Man darf fragen, wie lange das noch so sein wird.

Derzeit werden in Deutschland deutlich mehr Moscheen als Kirchen gebaut. Da mache sich niemand etwas vor. Ob sie Minarette bekommen und wie hoch diese sein dürfen, ist kommunales Recht. Das müssen die Bürger an den Orten entscheiden, wo gebaut wird. Das Baurecht ist ein säkulares Recht und hat alle Bauvorhaben gleich zu behandeln. Dabei spielen natürlich kulturelle Fragen eine Rolle. Dabei spielen auch politische Fragen eine Rolle. Wer baut, was, wo und zu welchem Zweck? Im Falle einer katholischen Kirchengemeinde steht ein Bistum / Erzbistum hinter dem Bau, das vor Ort von der Pfarrei durchgeführt wird. Man kann Bürgermeistern und Landräten nur raten, ganz genau hinzuschauen, wer bauen will und wer hinter dem steht, der bauen will. Wer nichts zu verbergen hat, scheut keine Transparenz.

Der populistischen Aussage, die Kardinal Woelki machte, kann man nur eine entschiedene Absage erteilen. Niemand der einen Kirchturm befürwortet, muß dies gleichermaßen mit einem Minarett tun. Jeder aber, der in eine radikale Opposition tritt, sollte bedenken, daß ein Turm baurechtlich immer ein Turm ist. Wer in Sachen Religionsfreiheit nicht mit dem Augenmaß operiert, daß die Verfassung uns gebietet, riskiert die Freiheit der eigenen Religion. Wer als Kardinal der römischen Kirche einen platten, an die gerade regierende Macht anbiedernden Populismus pflegt, sollte nur leider nicht mit Unterstützung rechnen. Als Bischof von Köln die Spannung zwischen Staat und Kirche nicht ernst zu nehmen, ist schon allein vor dem Hintergrund des preußischen Kulturkampfes extrem riskante Geschichtsvergessenheit. Besser wäre es für einen Kirchenmann gemäß Nostra aetate in Klarheit und Wahrheit das Gespräch mit Vertretern des Islam zu suchen. Von der Erfahrung der katholischen Kirche im Spannungsfeld zwischen Staat und Religion können alle Moslems, die in diesem Staat leben wollen nur profitieren.