Den Zölibat verteidigen? Jetzt, in dieser Situation wäre das wohl mehr als leichtsinnig. Auf Veranlassung von Papst Franziskus wird in Rom jetzt über die Zulassung von Viri probati diskutiert. In einem Zeitinterview hat der Papst das eingeräumt. Zugleich sprach sicher Pontifex dagegen aus, den priesterlichen Zölibat grundsätzlich zur Disposition zu stellen. Das muß man erst einmal so stehen lassen. Panik ist nicht angezeigt, es wird geprüft und das darf sein, aus wenn man den Eindruck hat, es sei schon oft genug geprüft worden. Papst Franziskus stellt offensichtlich alles auf den Prüfstand.
Wenn prüfen, dann prüfen. So macht es vielleicht Sinn, einen Realitycheck zu machen. Würde man nun die Tür zur Weihe verheirateter Männer öffnen, wäre es eine Frage der Zeit, bis der zölibatäre Priester nicht mehr die Regel sondern die Ausnahme ist. Obwohl alles derzeit reine Spekulation ist, kann eine schrittweise und nüchterne Folgenabschätzung nicht schaden. Der Blick geht natürlich auf hiesige Verhältnisse.
Zunächst ist davon auszugehen, daß bei zeitnaher Zulassung von Viri probati zu Priesterweihe ad hoch eine größere Zahl modernistisch-liberaler Neupriester jenseits des sechzigsten Lebensjahres in die Gemeinden strömen. Nur in dieser Altersstufe stehen in Deutschland und anderswo in Europa hinreichend viele Männer mit kirchlichem Hintergrund zur Verfügung. Das Problem des zahlenmäßigen Priestermangels wird dadurch nicht gelöst. Zum einen stünden die älteren Herren für den aktiven Dienst nicht so lange zur Verfügung, zum anderen findet die wünschenswerte Altersstufe um die vierzig in der Kirche kaum statt. Noch jüngere Kandidaten sind noch mehr Fehlanzeige.
Kurzfristig ergäbe sich ein Priesterüberhang nahe dem Renteneintrittsalter und würde damit die Generation der alten Priester noch viel stärker machen. Man könnte ein paar pastorale Löcher stopfen. Das wäre es dann aber auch schon. Ein anderes Problem stellt sich für die verheirateten Diakone. Es gäbe einen ziemlichen Druck, sich zum Priester weihen zu lassen, was die Berufung des Diakons sehr fragwürdig erscheinen ließe und die Einrichtung des ständigen Diakonats konterkarierte.
Für junge Männer, die als Priesteramtskandidaten im Theologiestudium stehen, stellte sich die Frage, ob man nicht lieber bis 35 wartet, vorher heiratet und sich dann erst weihen läßt. Der bestehende Notstand macht eine Anstellung als Pastoralreferent recht wahrscheinlich. In reichen Teilkirchen geht das, in armen Bistümern sähe das anders aus. Dennoch ginge der Trend mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einem fast durchgehend verheirateten Presbyterium.
Ausgehend von der Geschwindigkeit kirchlicher Prozesse, könnte man von einer Einführung der Viri probati in sieben bis zehn Jahren ausgehen, so es denn dazu kommt. Wer denkt, daß Priester, nur weil sie Priester sind, sich so gar niemals von ihren Frauen trennen würden, ist mit dem sprichwörtlichen Klammerbeutel gepudert. Evangelische Pfarrer sind die Berufsgruppe mit der höchsten Ehescheidungsrate. Das kann man als Vergleichswert heranziehen. So dürfte man dann spätestens in 15 bis 20 Jahren von einer nennenswerten Anzahl geschiedener Viri probati ausgehen. Nur kurze Zeit später dürfte dann die innerkirchliche Diskussion beginnen, ob denn ein geschiedener wiederverheirateter Mann noch Priester bleiben kann. Um es mit den Worten eines früheren Generalvikars eines deutschen Bistums zu sagen: Mit der Abschaffung des Zölibats lösen wir ein Problem und schaffen damit 20 neue Probleme. Dem ist nichts hinzuzufügen.
In der öffentlichen Diskussion sowie der in den Medien veröffentlichten Meinung ist das Hauptargument für verheiratete Priester der angebliche Priestermangel. Ein Blick zu all jenen christlichen Gemeinschaften, die den Zölibat so nicht kennen, läßt schnell ernüchtern, sobald man die ideologischen Scheuklappen absetzt. Trotz allen denkbaren und undenkbaren Konstellationen ist z.B. in der EKD der Personalmangel viel größer als in der katholischen Kirche. Mithin wird auch in den katholischen Bistümern die Einführung von Viri probati in dieser Hinsicht nichts verändern.
Man kommt nicht umhin, festzustellen, daß wir den Showdown der kirchlichen Revolution rund um das letzte Konzil gerade jetzt erleben. Was in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts seinen Anfang genommen hatte, in den 60ern und 70ern seinen Höhepunkt fand, seit ungefähr 15 Jahren den Niedergang mit einer schmerzhaft euphemistischen Aufbruchsrhetorik daher kam, geht jetzt seinem Ende zu. Es weste als „Geist des Konzils“ durch die vergangenen Jahrzehnte. Die letzten beiden Pontifikate mühten sich redlich um eine gesunde nachkonziliare Lehrentwicklung. Doch nun taucht in einem Pontifikat, mit dem niemand rechnen konnte, vieles wieder auf, was man dem Grunde nach erledigt glaubte.
Bei gleichbleibender Entwicklung wird der priesterliche Zölibat nun geschleift werden. Nicht lehrmäßig sondern ganz geschmeidig durch die pastorale Hintertür. Alle Veränderungen dieses Pontifikats geschehen so, daß sich nichts an der Lehre ändert und dann doch alles ganz wird. Geschmeidige Interpretation der Lehre und der Sitten machen es möglich. Für die Streiter wider den priesterlichen Zölibat ist die Stunde jetzt so günstig wie nie.
Schon in wenige Jahrzehnten werden wir wieder wissen, welch ein Schatz der ehelose Priester für die Kirche ist.