Die Statistik sagt vieles, doch sie sagt nicht alles. Die Austrittszahlen sind hoch. Der Mitgliederschwund der Kirche ist ein Drama. Doch das Eigentliche bleibt in den Zahlenwerken verborgen. Der Glaube der Menschen erlischt auch innerhalb der Kirche. Da liegt das Problem.

Es ist früh im Jahr, da kommt schon die Kirchenstatistik der DBK. In den vergangenen Jahren wurde diese immer im Sommerloch versteckt. Als Thema für die Saure-Gurken-Zeit waren die Kirchenstatistiken gerade gut genug. In diesem Jahr gingen sie sogar mit einem Vorläufigkeitsvermerk an die Öffentlichkeit. Die Meldung lautet: Die katholische Kirche ist unter 20 Millionen Mitglieder. In den Landeskirchen der EKD sieht es noch finsterer aus. Nun könnte man denken, dass hier eine Schmerzgrenze erreicht ist, die zumindest die Bischöfe mal zum Umdenken bewegt. Aber nein. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, teilte ließ die desinteressierte Öffentlichkeit wissen, die Kirche dürfe vor den Zahlen nicht die Augen verschließen. „Sie fordern uns heraus, neu zu fragen: Für wen sind wir als Kirche da?“, schrieb Bätzing auf der Website seines Limburger Bistums. Statt auf das Evangelium zu verweisen, deutet der Limburger Oberhirte nur auf die Dienste der Kirche, die in einem Sozialstaat auch völlig ohne die Kirche funktionieren würden.
Die Kirche wächst
Die gute Nachricht ist, weltweit wächst die Kirche. Es gibt inzwischen mehr als 1,4 Milliarden Katholiken weltweit. Die katholische Kirche ist damit die am stärksten wachsende Glaubensgemeinschaft der Welt. Nur zu gerne verweist man in Deutschland auf den Missbrauchsskandal als Ursache für die hohen Austrittszahlen. Dieser wird sicher eine große Rolle spielen, zumal die Aufarbeitung sich in Gutachten und peinlichem Feilschen um Entschädigungsleistungen erschöpft. Dazu, das sollte man nicht vergessen, werden sogenannte systemische Ursachen herbeifabuliert, die zu nichts anderem dienen als zur Dekonstruktion der kirchlichen Sexualmoral und wesentlicher Teile des kirchlichen Glaubens. Zu diesem Zweck wirken katholische Bischöfe munter beim Synodalen Weg und seinen Derivaten mit.
Wenn es so weiter geht, das kann man leicht ausrechnen, wird die Anzahl der Katholiken in Deutschland sich in rund zehn Jahren bei unter 15 Millionen Mitgliedern bewegen. Austritte und Demografie beschleunigen die Dynamik des Mitgliederschwundes. Derzeit sterben jährlich mehr als doppelt so viele Katholiken, wie durch Taufen hinzukommen. Das Verhältnis wird sich durch den Beginn des Sterbens der geburtenstarken Jahrgänge im kommenden Jahrzehnt massiv erhöhen. Je nach Dynamik von Skandalen oder antikirchlicher Stimmung in der Öffentlichkeit werden in den kommenden Jahren kaum einmal weniger 300.000 Katholiken die Kirche verlassen. Man darf als ohne weiteres von einem jährlichen Schwund zwischen 500.000 und 700.000 Katholiken pro Jahr ausgehen.
Der Unglaube der nominellen Katholiken
Ein weiteres Phänomen, das ein wenig vernebelt daher kommt, ist der Umgang der noch vorhandenen Katholiken mit den Kirchengeboten. Nach wie vor lautet das erste Gebot der Kirche: „Am Sonntag und an den anderen gebotenen Feiertagen sollst du die Heilige Messe mitfeiern und keine Arbeiten und Tätigkeiten verrichten, welche die Heiligung dieser Tage gefährden!“ Die einmal jährliche Beichte, die Osterkommunion, Fast- und Abstinenzgebote und das Erfordernis der Kirche beizustehen, gehören ebenfalls dazu. Statistisch erhoben wird davon allein das Sonntagsgebot.
Die (von Fachleuten in ihrer Zuverlässigkeit angezweifelte) Statistik weist 1,3 Millionen Teilnehmer an der Heiligen Messe am Sonntag aus. Bei 84 Millionen Menschen in diesem Land, gehen nur verschwindend geringe 1,5 Prozent der Bürger am Sonntag in die Kirche. Nimmt man den Umgang mit den Geboten der Kirche als einen (nicht als den!) Ausdruck von Ernsthaftigkeit im Glauben, so muss man feststellen, dass nicht einmal jeder zehnte nominelle Katholik ein Mindestmaß an Ernsthaftigkeit im Glauben in seiner persönliche Praxis zum Ausdruck bringt. Besonders die Pastoraltheologie versucht hier Deutungsverschiebungen herbeizuführen, was aber unter Strich zu nichts anderem führt als zur Relativierung von Kirchengeboten. Würde die Kirche ihre Gebote abschaffen, wäre der Fall klar. Doch die Gebote gelten weiterhin. Sie gelten auch nicht relativ oder situativ oder unter sozialem Vorbehalt. Sie gelten. Und damit gilt auch, was das Volk den Hirten sagt: Wir glauben nicht mehr in dem Sinne, in dem die Kirche glaubt. Wir bekennen uns nicht mehr zu den Geboten der Kirche. Wir akzeptieren diese nicht.
Untersuchungen zeigen nur einen Teil der Wirklichkeit
Soziologische und demografische Untersuchungen bescheinigen der Kirche schon lange, dass eine große Zahl ihrer Mitglieder gar nicht oder nur zu geringen Teilen dem Bekenntnis der Kirche überhaupt zustimmt. Unwissenheit über das, was die Kirche glaubt und ein gewaltiges Ausmaß an Aberglaube kommen hinzu. Die kirchliche Statistik klammert sich an Zahlen, die im Grunde kaum noch eine Bedeutung haben. Sie erfasst die zahlenden Mitglieder. Sie erhebt die Trauungen, Taufen, Firmungen und Erstkommunionen, ohne deren Folgen zu berücksichtigen. Allenfalls sehr indirekt lässt sich zeigen, wieviel getaufte gehen zur Erstkommunion, wie viele davon lassen sich firmen und am Ende, wie wenige gefirmte Katholiken heiraten noch kirchlich. Ganz grob lässt sich erkennen, wie sehr Taufe und Erstkommunion noch vorhandenen Traditionen folgen, die sich aber im Leben der Jugendlichen nicht in einem gelebten Glauben manifestieren. Das Drama der Sakramentenkatechse in Deutschland ist ein eigenes Phänomen, das dazu führt, dass die Sakramente an Ungläubige gespendet werden. Die reinen Zahlen geben von diesem Drama nur einen schattenhaften Eindruck.
Das Ausmaß kirchlicher Irrelevanz im Leben der Menschen drückt sich nicht in Austrittszahlen aus. Dieser Schritt ist nur der letzte in einer Folge von Ereignissen, die nicht selten mit der Taufe ihren Ausgang nimmt. Bei der Taufe, das wird gerne mal vergessen, versprechen die Eltern, ihr neugetauftes Kind im Glauben zu erziehen. Erstkommunionkatecheten stehen vor dem Phänomen, getaufte Kinder vorzufinden, die nicht einmal die Grundgebete kennen und vom Glauben schlicht gar nichts wissen. Gemeindepfarrer sind inzwischen längst in der Situation, dass Mütter von Erstkommunionkindern, die selbst religiöse Analphabeten sind, die Sakramentenkatechese übernehmen müssen. Wer jemals real existierenden Firmlingen in freier Wildbahn begegnet ist, steht vor Jugendlichen, die in erdrückender Mehrheit im Kopf und Herzen dieser Kirche längst den Rücken gekehrt haben, wenn sie sich überhaupt jemals Gedanken darüber gemacht haben.
Jobs sichern
Alle kirchlichen Statistiken, alle soziologischen und demoskopischen Untersuchungen zeigen uns wertvolle Zahlen und Erkenntnisse. Viele kluge Köpfe machen sich Gedanken darüber, wie sie – etwas boshaft gesagt – Ihren Job retten können. Bei inflationsbereinigt sinkender Kirchensteuer und der Aussicht darauf, dass sich dieser Trend beschleunigt, ist die Sorge um die durchaus gut bezahlten kirchlichen Jobs nicht unberechtigt. Alle kirchlichen Studien und Zahlenerhebungen zeigen jedoch eines nicht: eine Lösung des Problems. Mitarbeiter der Kirche können inzwischen ausrechnen, wann es keine Katholiken in Deutschland mehr geben wird. Genau da liegt das Problem. Egal wohin man schaut, wird die Kirche als eine rein innerweltliche soziale Größe wahrgenommen. Die transzendente Wirklichkeit der Kirche spielt einfach keine Rolle mehr. Es schreit einem aus dem Statement von Bätzing entgegen. An eine Ecclesia triumphans glauben wir erst gar nicht mehr, dann brauchen wir uns um die Ecclesia militans auch nicht zu kümmern.
Der Ausweg heißt Mission. Das ist nicht etwa irgendein besonderes Steckenpferd oder ein Tick oder eine kirchenpolitische Präferenz, es ist der Auftrag des Herrn an seine Jünger, der einfach immer weiter und in allen Zeiten und für alle Völker (auch für die, die glauben, eine Volkskirche zu haben) nach wie vor gilt.
„Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Mt 28,19f.
Eine Kirche, die den Verkündigungsauftrag vom Herrn nicht erfüllt, sondern nur noch um sich und ihr wirtschaftliches und soziales Engagement kreist, stirbt langsam, aber unaufhaltsam vor sich hin. Ein Bild von einer Kirche und wie sie sein müsste, um diesen Trend umkehren zu können, zeigt sich übrigens hier.