Wo ist denn unsere Kultur geblieben, einen Verstorbenen erst einmal angemessen zu würdigen? Der Papst ist gestorben und die medialen Aasgeier fallen über ihn her. Nunja, er war kein Papst der Herzen, aber er war doch kein Ungeheuer.

Was jetzt in diesem Internet abgeht, ist mit Freidrehen nur noch unzureichend umschrieben. Der schismatische und exkommunizierte Bischof Vigano dürfte in Sachen damnatio memoriae so ziemlich den Vogel abgeschossen haben. Für den ist der verstorbene Pontifex vermutlich schon sicher in der Hölle. Andere sind kaum besser.
De mortuis nil nisi bene, das ist eine Tugendübung, die wohl in Vergessenheit geraten ist. Die Polemik von progressiver Seite gegen Papst Benedikt XVI. war schon reichlich unangenehm und unangemessen. Der Umgang der Katholiken in Deutschland mit dem deutschen Papst war schlimm und zuweilen nur schwer zu ertragen. Was aber gerade an unverhohlen vernichtender Kritik, vor allem aus dem konservativen Lager auf den verstorbenen Papst Franziskus herunterprasselt, ist weder verlinkungs- noch zitierfähig. Wer die Nerven dazu hat, mag selbst suchen.
Am 13. März 2013 stand ich am späten Nachmittag durchnässt auf dem Petersplatz. Man wartete auf den Rauch. Mit ein paar Kollegen war ich zum Essen verabredet, denn keiner erwartete an dem Tag schon den neuen Papst. Gegen 17:30 Uhr begann sich die Piazza zu füllen. Die Römer riechen den neuen Papst, unkte ich kurz darauf. Es war schon zu spät. Ein Entrinnen gab es nicht mehr. Eingeklemmt zwischen den Massen harrte man der Dinge. Die Redaktionen in der Heimat konnten jetzt schneller agieren als wir auf der Piazza. Aus dem Kamin, auf dem sich übrigens während des Konklaves die damals berühmte Konklavemöwe niedergelassen hatte, kam dann wirklich weißer Rauch. Danach erschien der Kardinalprotodiakon mit der Ankündigung. Der Rest ist Geschichte.
Das Foto meine Lebens war es dann nicht

Es hatte aufgehört zu regnen und ich hoffte – eingeklemmt in den Massen – auf das Foto meines Lebens. Der neue musste noch erst mit dem Vorgänger telefonieren, man erinnert sich. Die Story ist bekannt. Darum dauerte es lange, bis er auf die Mittelloggia trat. Dann kam der Neue. Endlich! Schock! Nur in Weiß, keine Mozetta, kein Chorgewand, keine Stola. Der Karneval sei vorbei, habe er den Zeremoniar beim Ankleiden wissen lassen. Und so unprätentiös wie es begann, ging es weiter. Allerdings waren die Bilder eher suboptimal. Bessere Fotos vom Papst habe ich später machen können. (Zu den Fotos vom Palmsonntag (s.o.) gibt es eine Geschichte, die ein andermal zu erzählen ist.)
Wenn es um die Lehre ging, erwies er sich als Sohn der Kirche. Allen Unkenrufen zum Trotz, eine echte Häresie hat er nie vertreten. Er wollte an die Ränder gehen und so ging er pastoral als Hirte zuweilen an Grenzen, an die er vielleicht besser nicht gerührt hätte. Es gab schon mal Proteste aus Afrika oder Amerika gegen Entscheidungen oder Äußerungen. Zu unklar, zu unscharf, zu nah am Sozialismus … Und doch, Irrlehren waren es nie.
Seine Wirtschaftskritik („Diese Wirtschaft tötet“) oder seine Coronapolitik (Impfpflicht im Vatikan), die umstrittene Fußnote in Amoris Laetita oder auch seine Vorstellung von Synodalität verstanden zu irritieren. In vorletzten Fragen darf man auch mal einem Papst widersprechen. Zuweilen konnte man sich auch regelrecht ärgern. Aber es gibt weder den Versuch, eine nicht mögliche Frauenweihe zuzulassen. Weibliche Diakone gibt es auch nicht. Viri probati gibt es nicht. Eine Neuausrichtung der Sexualmoral? Die gibt es nicht. Die deutschen Bischöfe fingen sich schon mal eine Watsch’n ein. Es gibt den Auftrag zu evangelisieren. Es gab ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit, in dem in Polen, in Krakau, ein Weltjugendtag stattfand, der beeindrucken konnte. Da war man sozusagen an der Quelle.
Was es immer wieder gab, das waren pastorale Schleifen und Unklarheiten. Etwas, das man jedem Beichtvater oder jedem Landpastor nicht nur durchgehen lässt, sondern an ihm vielleicht sogar bewundert, kann beim Pontifex maximus ärgern. Dann muss man sich eben ärgern. Na und?
Der Papst ist der Papst
Es steht nirgendwo geschrieben, dass man als Katholik immer und zu jeder Zeit gezwungen ist, dem Papst zuzujubeln. Aber der Papst ist der Papst. Punkt! Frühere Generationen haben sich so gut wie gar nicht für den Papst interessiert. Hier haben Medien erst ein Interesse geweckt, das ruhig hinterfragt werden kann. Ist es wirklich so toll, dass uns der Papst näher kommt, als unser Pfarrer? Es ist eben ein Medienphänomen und kein Phänomen den Glaubens.
Franziskus zeigte eine Haltung zur Synodalität, die leuchtet mir bis heute nicht ein. Keine Ahnung, wie er das dauerhaft und nachhaltig lehramtskonform mit dem Bischofsamt verbinden wollte. Ob das überhaupt gehen kann? Dass der deutsche Synodale Weg mit dem Synodalitätsverständnis von Papst Franziskus gar nicht kompatibel ist, dürfte inzwischen auch der letzte deutsche Laienfunktionär kapiert haben. Die Nachsicht, Geduld und vor allem die Standfestigkeit der römischen Behörden, die hier den Papst ganz klar hinter sich wussten, war und ist beeindruckend. Ob das im nächsten Pontifikat auch so sein wird, muss sich zeigen. Ärgerlicherweise versucht man sich im ZdK immer noch in Franziskusvereinnahmung. Angezeigt ist das nicht.
Nun ist der Papst der armen Kirche der Armen heimgegangen. Manchmal kam die Armut des Papstes die Kirche teuer zu stehen, wenn geschenkte Mercedes in die Garage mussten und gebrauchte Fiat extra angeschafft wurden. Auch an diese Marotte konnte man sich gewöhnen. Liturgisch war der Papst wie ein Landpastor. Er zelebrierte korrekt aber zuweilen sehr schlicht und viel zu karg. Statt alte Messgewänder zu tragen, musste besonders schlichte neu gekauft werden. „Jesuita non cantat“. So sang der Papst weder die Messe noch den Segen „Urbi et orbi“. Völlig frei in der Verwendung der Stola, ein Privileg des Papstes, nutzte er dies für einen extrem sparsamen Umgang mit der Stola. Die Mozetta verschmähte er ebenso wie rote Schuhe bis zum Schluss. An diesen Äußerlichkeiten störten sich viele. Es war im Kern eine südamerikanische Verachtung europäischer Tradition. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Am Ende hatte man sich daran gewöhnt, wie man sich an fliegende Pressekonferenzen und unkontrollierte Interviews gewöhnt hatte. Während andere Päpste keine Silbe ohne Kontrolle durch die Glaubenskongregation sprachen, sprach Franziskus, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Man konnte sich auch daran gewöhnen. Vorher war man gewöhnt, die Meldung schon mal zu schreiben, wenn man die Predigt vorab hatte. Bei Franziskus ging das nicht.
Schlicht und noch schlichter
Mit „Buena sera“ begrüßte uns der Papst damals am 13. März 2013 gegen 19:30 Uhr auf dem Petersplatz, mit „Urbi et Orbi“ verabschiedete er sich am vergangenen Sonntag am selben Ort von der Welt. Und? War dieser Papst so schlimm? Am Ende war er eben ein Papst in der Reihe so vieler Päpste. Hand aufs Herz, wäre uns denn ein Urban VI. lieber gewesen? Franziskus wird seinen Platz in der Kirchengeschichte finden und vielleicht werden spätere Generationen einmal ansatzweise verstehen, was sich der Heilige Geist dabei gedacht hat, uns diesen Mann zum Papst zu geben. Oder der nächste Papst erklärt es uns. Wie auch immer. In wenigen Wochen stehen tausende Menschen auf dem Petersplatz und rufen einem Mann in Weiß zu, was sie seit Jahrhunderten rufen: Viva il papa! Diesmal werde ich wohl vom Schreibtisch aus den weißen Rauch, den Kardinalprotodiakon und den neuen Papst erleben. Es bleibt dabei, ein Mann in weißer Soutane, egal, wer da drin steckt, repräsentiert die Katholische Kirche. Im Medienzeitalter müsste man den Papst erfinden, wenn es ihn nicht gäbe. Aber jetzt ist Sedivakanz…
Buona notte, Francesco! Ruhe in Frieden! Möge der Herr dir die Barmherzigkeit schenken, die du uns so nachhaltig und eindringlich gepredigt hast. Im Sommer werde ich sein Grab aufsuchen und ein Vater unser für ihn beten.