Hoher Dom zu Paderborn
– Erntedank-

Der Erntedank gehört als fester Bestandteil in das Jahr. Am ersten Sonntag im Oktober feiert die Kirche in unserem Land das Erntedankfest. In vielen Gemeinden ist im Altarraum ein Erntekranz umgeben von Obst und Gemüse aufgebaut. Danke für die Gaben er Erde. Die Discounter-Supermarktgeneration versteht es vielleicht nicht, was dieser Dank denn in einer Gesellschaft soll, die schon lange keine Agragesellschaft mehr ist. Da wird doch sehr schnell deutlich, wie kurz das Gedächtnis der Menschen zuweilen ist. Es wird klar, wie oberflächlich die Betrachtung der Welt in einer Wohlstandsumgebung wird.

Noch ist es kaum drei Generationen her, da herrschte in diesem Land Hunger. Ob die verwöhnten Schnösel unserer Tage wissen, was das ist. Man kann es sich nicht vorstellen, wie das ist, eine leere Vorratskammer zu haben und sie nicht füllen zu können. Keine Dönerbude um die Ecke. Kein Lieferservice im Internet. Der hungrige Bauch bleibt hungrig. Und was man selber als Erwachsener schon schlecht wegsteckt, die Kinder und ihre flehenden Augen. Hunger tut weh! Er tut so richtig weh.

Im Winter 1945/46 gingen viele Frauen aus dem Ruhrgebiet ins Münsterland, um dort Lebensmittel für die Familie zu erbetteln. Die Hamsterweiber nannte man sie. Meine Großmutter, deren Mann in russischer Gefangenschaft war, hielt mit ihren beiden noch jugendlichen Söhnen die kleine Landwirtschaft aufrecht. Der Großvater hatte noch in seinem letzten Feldpostbrief darum gebeten. Es war harte Arbeit, doch so mußten sie nicht hungern. Es gab keine Reichtümer und sie waren arm, so wie damals alle arm waren in den kleinen Landwirtschafts- und Fabrikdörfern im Münsterland.

Noch Jahre später erzählte die Großmutter von den schweren Jahren im Krieg und den Hungerjahren danach. Die Versorgung der Bevölkerung war zusammen gebrochen. Die Hamsterweiber standen immer wieder mal vor der Tür. „Ich hatte nicht immer was.“, mußte Großmutter eingestehen. Und schließlich hatte sie auch zwei heranwachsende Söhne. Manche Leute gaben den Hamsterweibern Kartoffelschalen. Daraus konnte man noch eine Suppe kochen. Nein, dann gab sie lieber zwei oder drei Kartoffeln und aß selber eine weniger. Und wenn nichts da war, so erzählte sie mir, ohne wenigstens ein Butterbrot zu machen, hat sie keine Frau von der Tür gehen lassen. Eine stille Heldin war sie, die von diesen Dingen, wenn überhaupt, immer nur sehr leise sprach und nur wenn man sie unter vier Augen erwischt und nachdrücklich fragte.

Erntedank war ebenso wie das Tischgebet für sie so selbstverständlich wie atmen. Dankbar zu sein, in den schweren Jahren nicht verhungert zu sein, machte immer noch sehr viel von ihrem Leben aus. Mit dem Brotmesser wurde vor dem Anschneiden ein Kreuz unter das Brot gezeichnet. Essen kam von Gott und man sah es als Geschenk, dem man seine eigenen Arbeit beigeben mußte. Für ein Geschenk bedankt man sich.

Darum hat man auch in einer Industriegesellschaft und in einer globalisierten Welt keinen Grund den Erntedank abzuschaffen. Darum ist es völlig verfehlt, den Erntedank irgendwie gutmenschlich, sozialistisch oder klimaideologisch politisieren zu wollen. Wer da etwas ändern will, soll in die Politik gehen.
In dem Moment, wo der Mensch vor der Ernte eines Jahres steht, hat er allen Grund dankbar zu sein. Dazu müßte man sich dann tatsächlich mal vor die Ernte stellen. Es reicht schon, einmal zu schauen, wie viele Wagen Getreide ein Bauer von einem Feld holt. Mal auszurechnen, wieviele Brote man daraus backen kann. Wie viele Menschen werden davon wie lange satt. Es geht eben nichts über sinnliche Wahrnehmung.

Sinnliche Wahrnehmung machen auch die, die Lebensmittel retten. Nicht jeder ist dazu berufen, von Bäcker zu Bäcker zu laufen und Brote zu retten oder auf dem Markt am Abend Gemüse einzusammeln. Doch die, die das tun, die Foodsaver haben den Sinn von Erntedank allemal verstanden.