„Hl. Benedikt“
vermutlich von Johann Christoph Storer
Weingarten (Württemberg) , Basilika St. Martin und Oswald, Tafelbild auf der Galerie
Lizenz: Gemeinfrei

Als Papst Benedikt XVI. in Freiburg von der Notwendigkeit der Entweltlichung sprach, schlugen die Wellen hoch. Die Skepsis des Papstes der Kirchensteuer gegenüber war hinlänglich bekannt. Doch darum ging es nur ganz nebenbei. Die Kirchensteuer ist nicht die Wurzel allen Übels der Kirche in Deutschland. Kaum anzunehmen, daß der Papst dies jemals so gesehen haben sollte. Die Kirchensteuer ist ein Symptom unter vielen, welche eine Kirche beschreiben, die nur allzu tief mit den Staat verflochten ist.

Eine sehr viel radikalere Trennung der Kirche vom Staat täte ihr und dem Glauben sehr gut. Nun macht es natürlich wenig Sinn, nicht zuletzt im Hinblick auf die soziale Verantwortung des Arbeitgebers Kirche, alle Brücken abzubrechen und Kirche im luftleeren Raum zu werden. Auch das war vom Papst niemals intendiert. Papst Benedikt XVI. ging ja geradezu sanft mit den Deutschen um. Der Nachfolger bezeichnet Europa schon mal als unfruchtbare alte Frau.

Die päpstliche Rede von der Entweltlichung und von einer armen Kirche der Armen sind zwei Seiten einer Medaille. Die reiche Kirche in Deutschland kann nicht mehr hörbar verkündigen. Das Evangelium dringt nicht mehr durch die finanziell wohlgepolsterten Kirchenmauern an die Ohren der Menschen in der Welt. Die Gesellschaft will von der Kirche nur noch die sozialen Dienstleistungen und die festliche Begleitung der Lebenswendfeiern. Ein wenig Sinnstiftung zum Wohlfühlen, ansonsten hat die Kirche in unserem Land ausgedient. Dazu ist die Kirche aber nicht da. Das muß sie verweigern.

Vielleicht haben es jetzt einige Bischöfe auch einmal wirklich gemerkt, was notwendig sein könnte. Als die markante Unähnlichkeit zwischen der Bismarckehe und der naturrechtlichen Ehe aufgeflogen war, konnte man belämmerte Statements von Bischöfen hören. In einem einzigartigen Akt des Dekonstruktivierens hat der Deutsche Bundestag die Bismarckehe für weitere Gruppen in der Gesellschaft eröffnet. Gendermainstreaming als Leitmotiv deutschen Regierungshandelns machte es denkbar. Eine geschmeidige Rochade der Kanzlerin machte es erreichbar. Politisch und juristisch gibt es sicherlich noch ein paar Optionen, den jüngsten Akt der Dekonstruktion wieder zurück zu führen. Noch steht das Grundgesetz dem entgegen, was das Parlament gerade beschlossen hat. Doch selbst eine höchstrichterliche Korrektur wird nur ein wenig Kosmetik sein und die Halbwertzeit der Restauration dürfte denkbar kurz werden. Der nächste Akt wird folgen. Es werden längst viel weiter gehende Dekonstruktionen von Ehe, Familie und Elternschaft gedacht.

In der Tat scheinen nun die Sicht auf Ehe und Familie bestens geeignet, die enorme Distanz zwischen der Kirche und der Gesellschaft aufzuzeigen. Von einer Naturrechtsehe oder einer sakramentalen Ehe ist die reformierte Bismarckehe Lichtjahre entfernt. Es ist müßig, das hier noch einmal en Detail zu erläutern. Auch die kirchliche Sicht auf die Familie unterscheidet sich geradezu dramatisch von der staatlichen Sicht. Ist in christlicher Sicht die Ehe der innerste Kern der Familie und die Familie das Kernelement der Gesellschaft, so löst sich dies in staatlicher Sicht immer weiter auf. Patchwork und Regenbogen statt Stabilität und Sakrament. Es ist als mutierte die staatliche Sicht auf Ehe und Familie immer mehr zu einem dunklen Spiegelbild der kirchlichen Sicht. Die Drift ist nicht mehr aufzuhalten. Da mache sich niemand etwas vor, der aus christlicher Sicht für die Familie streitet.

Trotzdem soll das niemanden, der als Christ aus christlicher Motivation heraus Politik macht, sei parlamentarisch oder außerparlamentarisch, sei es in einer Partei oder überparteilich, davon abhalten, sich für eine Verbesserung der Familienpolitik in all ihren Varianten einzusetzen. Wir brauchen das, denn jede noch so kleine christlich motivierte Note im Zirkus des Machbaren stellt unterm Strich eine Verbesserung für Eltern und Kinder dar.
Doch auch das folgende sollte klar sein. Seit nunmehr rund dreißig Jahren driftet in der Politik die Wirklichkeit und der christliche Anspruch immer weiter auseinander. Dies passiert in den letzten Jahren mit zunehmender Geschwindigkeit. Es ganz gleich, ob wir Familienpolitik, Bioethik, Medizinethik, Lebensrecht oder auch Wirtschafts- und Sozialpolitik anschauen, in jedem dieser Bereiche konnten sich von Lehre der Kirche motivierte politische Ansichten nicht mehr durchsetzen oder wurden dekonstruktiert und abgeschafft.

Oft genug haben Fachleute der Kirche hier munter mitgewirkt, in bester Absicht am Ende doch nur Verschlimmbesserungen herbei zu führen. Das beste Beispiel ist die Beratungsscheinregelung bei der Abtreibung. In dem Wunsch schlimmeres zu verhindern, wirkte die Kirche (in Gestalt der DBK) an der einschlägigen Regelung, um sich anschließend von Rom zurück pfeifen lassen zu müssen. Diese ungesunde Mitwirkung führte zudem noch zur Gründung dieser unseligen Vereinigung „Donum vitae“ und damit zu einem Zerwürfnis zwischen beteiligten Laien und Bischöfen. Zudem war seitdem kaum ein Bischof in der Lage glaubwürdig und öffentlich vernehmbar die Sicht der Kirche auf die Abtreibung zu verkündigen. Erst jetzt nach einem weitgehenden Generationenwechsel ist das langsam wieder möglich.

Der Sündenfall hier ist die Tätigkeit der DBK im Auftrag der Bischöfe als politische Lobby in den verschiedenen Gesetzgebungsverfahren. Lobbyarbeit kostet Geld. Die Kirche in Deutschland hat Geld. Der Fehler im System ist, daß ein Lobbyist gezwungen ist, politische Kompromisse zu schließen. Insofern ein Lobbyist nicht die Wahrheit, sondern allein Interessen vertritt, ist dies allenfalls unangenehm. Wenn aber die Kirche die Wahrheit vertritt, dann ist ihr der Kompromiss nicht erlaubt. Die Wahrheit kennt keine Kompromisse. Wer als Lobbyist einem Kompromiss zustimmt, gibt den Anspruch auf die Wahrheit bereits auf. An dieser Stelle wird politisches Handeln der Kirche extrem problematisch.

Nun ist Politik ohnehin nicht Angelegenheit des Klerus. Es ist auch nicht Angelegenheit des Episkopats. Es ist die Aufgabe der Bischöfe ohne Wenn und Aber die Wahrheit aus dem Evangelium und der Lehre der Kirche zu verkünden. Und wenn es sinnvoll ist, dann kann dies auch sein, die Lehre der Kirche über eine konkrete Sache darzulegen. Es wäre sogar denkbar, einen Vertreter zu einer parlamentarischen Anhörung zu entsenden. Es macht aus bischöflicher Sicht keinen Sinn, irgendeinem „halbwahren“ Kompromiss indirekt oder ausdrücklich zuzustimmen. Alles andere als die Wahrheit hat die Kirche als Lüge zu verurteilen. Gelegen oder ungelegen.

Politik ist Weltdienst der Laien. Natürlich kann und soll hier lebendiger Austausch von Ansichten und Informationen erfolgen. Warum sollten sich Politiker nicht mit Bischöfen und deren Mitarbeitern treffen? Das kann nur nützlich sein. Politik ist die Kunst des Machbaren. Der christliche Politiker ist vor seinem Gewissen verpflichtet, das Machbare so gut es geht, seinem gelebten Glauben zu entnehmen. Dabei muß er unter Umständen seinem Gewissen Kompromisse abringen. Das ist die Realität. Aber die Kirche hat sich aus dieser Art aktueller Politik heraus zu halten, um unabhängig zu bleiben und um so die Wahrheit frei bezeugen zu können.

Politik ist die Aufgabe der Laien und es ist jeder zu loben, der es auf sich nimmt an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. Je mehr dies tun, umso besser. Doch dieses „Mehr“ wird mehr und mehr zu einem Problem. Die Anzahl der bekennenden und praktizierenden Christen sinkt. Wir sind – nimmt man einmal nicht die Taufscheine als Maß – gerade mal noch eine qualifizierte Minderheit. Das heißt, daß Christen sehr zum Ärgernis der veröffentlichten Meinung immer noch politisch hörbar und spürbar sind. Sei es im Parlament oder auf der Demo für alle, sei es in Blogs oder in Büchern über Gendergaga. Politisch aktive Christen sind noch immer selbstverständlich an allen Orten zu finden.

Etwas anderes aber wird immer drängender. Wir waren es gewohnt, daß unsere Gesellschaft ganz selbstverständlich eine gewisse kulturelle Grundschwingung hatte, die vom Christentum durchdrungen und geprägt war. Selbst die, die schon länger den Glauben aufgegeben hatten, konnten sich damit immer noch identifizieren. Das schwindet zunehmend in der Gesellschaft und das bekommen wir auch nicht zurück. Parallel zu der fortschreitenden Dekonstruktion der christlich-abendländischen Grundlagen unserer Rechtsnormen erfolgt die Dekonstruktion der christlich-abendländischen Kultur in allen Lebensbereichen.
Muß man einen Nagel in die Wand schlagen, so braucht man einen Hammer. Anders gesagt ist der Hammer die Lösung für das Problem Nagel. Nun ist aber nicht jedes Problem ein Nagel. Auf unsere Gesellschaft bezogen lassen sich nicht alle Fragen politisch klären. Politisch, das heißt eben im Zweifel einen Kompromiss einzugehen. Nicht alle Lebensvollzüge erlauben Kompromisse. Aus diesem Grunde ist es unbedingt nötig, in der bestehenden Gesellschaft Parallelstrukturen zu etablieren, die ein Leben als Christ ohne bestimmte Kompromisse erlaubt. Das ist eigentlich gar nicht so neu. Schon immer war die christliche Familie so eine alternative Struktur, die zugleich Einflüsse von außen zurückzudrängen wußte, aber durchaus der Gastfreundschaft pflegen konnte.

Da ist das Modell der monastischen Gemeinschaft, die sich aus der Welt zurück zieht, aber immer mit der Welt interagiert. Es braucht einen Rückzug der Christen aus der Welt, um der Welt geben zu können, was die Welt nicht hat. In einer immer kälter werdenden Gesellschaft, die sich von ihren Wurzeln mit zunehmender Geschwindigkeit entfernt braucht es Lebensbereiche, in die sich Christen zurück ziehen können, aus denen sie aber auch wieder in die Welt treten können. Der Vergleich mit der monastischen Klausur ist hier schon angebracht. Sie ist abgeschieden und hat dennoch eine große Offenheit für die umgebende Welt. Und solche Rückzüge sind unerlässlich. Schon jetzt ist es kaum noch auszuhalten, wenn man bedenkt, wie wir politisch an fast allen Fronten (Ehe, Familie, Erziehung, Bildung … ) nur noch in Abwehrhaltung sind. Man bekommt ja kaum noch das Visier hoch. Viele tapfere Ritter an der politischen Front reisen von Demo zu Talkshow zu Hearing zu Konferenz und sitzen dazwischen im Büro und am Telefon, um das alles zu koordinieren. Sie schaffen es kaum noch, die Rüstung einmal auszuziehen und wieder einfach Mensch zu sein. Das geht so nicht weiter! Der kulturelle Niedergang führt zudem dazu, daß sie sich zuweilen dauerhaft angeprangert und verleumdet sehen. Das hält kein Mensch auf Dauer aus! Wir brauchen diese Streiter, wir dürfen nicht zulassen, daß sie verbrennen.

Der strategische Rückzug, von dem Rod Dreher in „The Benedict Option“ spricht, erscheint mir mit jedem Kapitel, das Tobias uns erschließt, mehr und mehr wie die praktische Umsetzung der seinerzeit von Papst Benedikt XVI. geforderten Entweltlichung der Kirche. Im Hinblick auf die Strukturen der Kirche halte ich die Rede ohnehin für prophetisch, die strukturelle Entweltlichung wird der Kirche in der einen oder anderen Weise aufgezwungen werden. Wie den Bischöfen quasi die immer angenommene Korrelation zwischen kirchlicher Ehe und Bismarckehe um die Ohren geflogen ist, ist in der Hinsicht geradezu beispielhaft. Fast tun sie einem leid, wie sie jetzt verzweifelt die christliche Ehe verteidigen. Es braucht eine praktische Umsetzung neuartiger Strukturen, will die Kirche nicht zu einer bedeutungslosen Sekte mit sonderbaren Bräuchen verkommen. Es braucht Orte, wo jungen Menschen einen Schutzraum haben, der sie zu kraftvollen jungen Christen heran wachsen läßt. Die Familie allein kann dies nicht mehr leisten, die Angriffe sind schon heute zu stark. Es braucht Ideen dafür. Es braucht junge Menschen, die das ausprobieren wollen.

Und je weiter die praktische Dekonstruktion unserer Gesellschaft fortschreitet, umso notwendiger wird, bei allem nötigen politischen Einsatz von Laien bei gleichzeitiger konsequenter Verkündigung von Priestern und Bischöfen, der Aufbau zahlreicher Parallelstrukturen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Auf solch tragfähigen Beinen können wir auch unsere politischen Streiter wieder übers Land schicken. Da muß noch viel Denkarbeit geleistet werden. Die Option des Hl. Benedikt ist da ein guter Denkbaustein auch für unsere Zeit. Auch wenn jetzt nicht ad hoc neue Strukturen wachsen werden, so ist doch jetzt die Zeit, die eine klare Weichenstellung erfordert. Das ist ebenfalls eine Aufgabe der Laien. Schon immer kamen die großen Aufbrüche im Glauben von den Kleinen und Unmündigen.