Karl Kardinal Lehmann
Karl Kardinal Lehmann

Karl Kardinal Lehmann wurde gestern als Bischof von Mainz verabschiedet. Nun ist er weg. Der Bischof von Mainz ist zwar kein Kurfürst mehr, doch trotzdem spielte Kardinal Lehmann auch auf dem politischen Parkett seine Rolle.  Jahrzehnte prägte er die als Theologe, Bischof, Vorsitzender der DBK und zuletzt noch als Kardinal die Kirche in Deutschland mit. Man könnte auch sagen, er prägte die Deutsche Kirche. Als Schüler von Karl Rahner übertraf er diesen locker, wenn es darum ging mit einer unendlichen Anzahl an Worten möglichst nichts zu sagen, worauf man ihn festlegen konnte. In kaum nachzuvollziehender Weise hielt er eine DBK von Kamphaus bis Dyba zusammen. Doch so mit einer Stimme sprachen sie denn doch wieder nicht.

Unvergessen ist der Konflikt um den Beratungsschein, der die Abtreibung eines Kindes straffrei stellt. Hier wird die praktische Dialektik eines Kardinal Lehmann so deutlich wie selten. Es war klar, daß die Fristenregelung zur Abtreibung politisch eine breite Mehrheit finden würde. Statt fundamental die Haltung der Kirche zur Abtreibung klar zu stellen und damit zu riskieren, daß die Kirche in Opposition zum Staat geht, was nicht zwingend ein Fehler ist, setzte Bischof Lehmann darauf, zu retten, was zu retten ist. Eine Beratung vor der Abtreibung sollte her. Sicher ist das kein Fehler. Eine Lösung ist es auch nicht, wenn das Kind am Ende doch tot ist. Die Beratung sollte bescheinigt werden, damit die Abtreibung, die zwar verboten und strafbar ist, dann nicht strafverfolgt wird. (N.B.: Mein Nachbar fährt so einen schicken Wagen. Darf ist den straffrei klauen, wenn ich mich vorher beraten lasse? Stellt mein Pfarrer solche Beratungsscheine aus?) Kirchliche Beratungsstellen stellten diese Scheine zu Anfang aus. Eine Ausnahme gab es: Fulda! Erzbischof Dyba weigerte sich, den Tötungsschein zu akzeptieren.

Die deutschen Bistümer gerieten darauf hin in Konflikt mit Rom. Der Papst sah durch den Beratungsschein das Zeugnis der Kirche für das Leben beeinträchtigt. Hier kommt der Dialektiker Bischof Lehmann mit einer geradezu perfiden Idee: Der Schein, den die Kirche ausstellt, solle einen Zusatz tragen: „Berechtigt nicht zur straffreien Abtreibung.“ Der Staat hätte sich ja nicht daran halten müssen. Papst Johannes Paul II. zwingt daraufhin die deutschen Bischöfe zum Ausstieg aus dem Beratungsschein. Wieder schießt ein Bischof quer: Kamphaus. Erst nach massivem Druck aus Rom und der Beschneidung seiner Vollmachten erklärt sich der damalige Bischof von Limburg zum Ausstieg aus dem Schein bereit.

Als Folge aus dem Debakel um den elenden Beratungsschein wurde „Donum vitae“ gegründet, die den Schein bis heute ausstellen. Durch das Scheindebakel unglaubwürdig geworden, eiern deutsche Bischöfe bis heute um eine klare Stellungnahme herum. Man meidet die im Grunde so dringend nötige Abgrenzung diesem Verein gegenüber ebenso wie klare Stellungnahmen zum Lebensrecht. Die Haltung der Kirche wurde in die Unschärfe gedrückt, das Zeugnis verdunkelt. Dies alles, um im großen Spiel der Politik weiter mitspielen zu dürfen.

Doch es gibt auch den anderen Karl Kardinal Lehmann: Den Bischof als Vater seiner Diözese und als Vater seiner Priester. Als einer seiner Pfarrer wegen Kommentaren auf einem anonymen Hetzportal in die öffentliche Schußlinie geriet, hielt der Bischof zu seinem Priester. Hatte die Veröffentlichte Meinung den Priester schon zur Hinrichtung freigegeben, der Bischof blieb standhaft.

Als das Auslandssekretariat der DBK den langjährigen Pfarrer der deutschen Gemeinde in Kairo gegen jegliche Vernunft abberufen wollte. Hielt der Bischof eine raffinierte Lösung parat. Als man in Bonn einfach nicht nachgeben und keinem möglichen Kompromiß zustimmen wollte, wurde die Gemeinde in Kairo de facto auffgelöst. Der Bischof von Mainz hielt auch hier wieder zu seinem Priester und schickte ihn in Rente. Der rüstige Rentner kann sich nun weiterhin um seine Gemeinde in Kairo kümmern.

Diese Beispiele sind öffentlich geworden. Es mag zahlreiche weitere gegeben haben.

Der em. Bischof von Mainz hatte stets diese zwei Seiten von sich gezeigt. Ein kluger, belesener Mann, der mit sehr viel Sachverstand die Dinge anging. Als Rahnerschüler natürlich ein moderner Theologe, der zwar ein sentire cum ecclesia nicht vermissen ließ, es dennoch oft genug elegant umsegelte. Ein stetes Daddeln mit dem Zeitgeist ohne sich ihm anzuvermählen gehörte ebenfalls dazu.

Man mag Kardinal Lehman in der Mainstreampresse hochjubeln, man mag ihn andernorts schon fast verteufeln. Weder das eine noch das andere trifft zu. Und so mag ich ihn hier weder loben noch tadeln für sein Lebenswerk. Zu ambivalent ist das Bild, das Karl Kardinal Lehmann bei mir hinterlassen hat.

Möge er nun, trotz angegriffener Gesundheit seinen Ruhestand genießen. Und den Rest soll er mit seinem Herrn aushandeln, wenn der ihn einst heimruft.


Und wer sich nun fragt, wie der Titel dieses Artikels zustande kam, da gab es mal einen Herrn Lehmann, der ebenfalls sehr belesen war und den Spitznamen Lemmi hatte. Erinnert man sich noch?