Früher™, als die Welt noch europäisch in Unordnung war, floss der Rhein in den Tiber. Zuweilen konnte man in jüngster Zeit denken, schwappte auch mal ein wenige Isarwasser in römische Gefilde. Heute aber, spätestens seit der Amazonassynode, ist völlig klar, dass der Tiber reinstes Amazonaswasser führt. Wie sonst wäre übrigens zu erklären, dass ein Fluss, der sonst gar nichts wieder ausspuckt, Pachamama sofort wieder trocken gelegt hat?
Der Amazonas, so ist in dem poetischsten aller päpstlichen Schreiben zu lesen, könnte das reinste Paradies sein, wäre da nicht der böse, böse Mensch. Der Indio kommt ganz rein daher, der Kolonialist, der Imperialist verkörpert die Destruktion, die Zerstörung. In dieser Reinform gibt es weder das eine noch das andere. Ist der Indio ein Mensch, dann ist auch seine Natur von der Erbsünde gebrochen. Ist der weiße Mann ein Mensch, ward auch ihm die Erlösung durch Jesus Christus zu teil. Es ist ein poetisches Epos, welches zuweilen romantisch- ökosozial daher kommt. Es ist schwer zu lesen und noch schwerer zu verstehen. Es verschließt sich der Ratio zuweilen vollkommen. An manchen Stellen könnte es der unkundige Leser für ein indianische Märchen halten. Dennoch hält es offensichtlich Donnerschläge bereit. Das Postsynodale Schreiben „Querida Amazonia“ ist für manche ein großer Jubler, weil es keine Aufweichung der Regeln bezüglich der Ehelosigkeit für Priester gibt, ebenso wie Ordinatio sacerdotalis nicht angegriffen wird. Der Papst stärkt sogar ausdrücklich jene Frauen, die sich ohne ständig auf die Weihe zu schielen, im Sinne der Kirche – zuweilen auch im unmittelbaren Dienst der Kirche – für das Evangelium einsetzen.
Ein Lehrschreiben im eigentlichen Sinne ist es nicht. Und es gelingt dem Papst natürlich auch wieder zu verwirren. Das Schlußdokument der Synode wird erwähnt und „vorgestellt“, nennt es der Papst in seinem Schreiben. Unklar ist, was das bedeuten soll. Ins Magisterium wurde es definitiv nicht aufgenommen. Man kommt in diesem Pontifikat leider nicht umhin den Papst zu interpretieren, was fehlerbehaftet sein kann. Daher empfiehlt es sich, jede Maßnahme in diesem Pontifikat als vorläufig anzusehen und der Prüfung in einem späteren Pontifikat anheim zu stellen. Dies ist ein durch und durch katholisches Verfahren von größter Klarheit. Nur insofern ein Papst verbindliche Festlegungen getroffen hat, verbietet sich jegliche Revision. In praktischen Fragen und in Fragen der pastoralen Auslegung der Lehre wird es immer wieder eine Prüfung geben müssen. Dieses Pontifikat ist an Widersprüchen so reich, dass so gut wie gar nichts geklärt erscheint.
Wir werden in diesem Pontifikat auch keine klaren und eindeutigen Lehrentscheidungen mehr bekommen. Stattdessen liefert es uns eine Menge neuer Impulse, darunter sind durchaus gute Aufbrüche und auch in der Tat schädliche Irrläufer, die gegen die überlieferte Lehre stehen. Da sei nur das Dokument von Abu Dhabi genannt, welches nach dem Urteil von Fachleuten ganz klar einen Irrtum bezüglich der Religionsfreiheit enthält. Auch die – nach Ansicht von Fachleuten – falsche Interpretation jener ominösen Fußnote aus Amoris laetitia stellt so eine problematisches Lehrvakuum dar, wie es dieses Pontifikat zu Hauf hervorbringt. Wir müssen damit leben und können es, wie man sieht. Der Katechismus gilt unverändert weiter.
Konnte sich der Papst bislang noch des Wohlwollens der veröffentlichten Meinung und zahlreicher Kirchenreformträumer sicher sein, so ist dieses nach „Querida Amazonia“ dahingeschmolzen wie Butter an der Sonne. Im besten Falle macht man die bösen Konservativen, wie die Kardinäle Burke und Brandmüller und den emeritierten Papst für den vermeintlichen Rückschritt verantwortlich. Andere sehen gleich in Papst Franziskus den bis dato gut versteckten Konservativen.
Papst Franziskus hat nicht geliefert. Die Erwartungsschraube vor „Querida Amazonia“ war in derart unerträglich große Höhen geschraubt worden, dass man Zölibat und Ordinatio sacerdotalis gleichermaßen schon in die Mülltonne der Geschichte werfen zu können glaubte. Weit gefehlt! In der Vergangenheit konnte man immer wieder von Papst hören, dass er in diesen Fragen eigentlich gar nicht von der Tradition abweichen wolle. Nicht, dass Papst Franziskus nicht in der Lage wäre, heute dies zu sagen und morgen das Gegenteil zu tun. Das ist kleines Einmaleins der Jesuiten. Nicht dass Papst Franziskus immer wieder den Eindruck erwecken kann, freidenkerisches Gedankengut zumindest implizit in die Kirche einspeisen zu wollen. Doch hier blieb der Papst, wenn schon nicht lehrmäßig klar und eindeutig im Ausdruck, in der Konsequenz auf der Linie der lehramtlichen Tradition.
Der Papst hat auch in anderen Punkten nicht geliefert. Die Kurienreform steckt fest. Ein Ende ist noch nicht zu sehen. Die deutschen Reformkräfte reden zwar immer noch unbeirrt davon, auch „Querida Amazonia“ sei eine Bestärkung auf dem synodalen Irrweg, doch wer das wirklich glaubt, ist voll des süßen Weines oder schlimmeres. Hat der Amazonas uns keine weiblichen Priester in die Kirche gespült, so wird es der Main auch nicht schaffen.
Zu Recht ist der Papst angesäuert, weil man ihm sein Opus magnus Amazoniensis auf Zölibat und Frauenpriestertum zurechtgestutzt hat. Gratulor! Willkommen in der Kirche der westlichen Welt unserer Tage. Manchmal reibt man sich die Augen darüber, wie wenig dieser Papst von den Lagerkämpfen in der Kirche in Europa und Nordamerika mitbekommen hat. Wie wenig ihm schismatische und häretische Bedrohungen bewußt zu sein scheinen. Sein Ziel die Kirche weniger eurozentrisch werden zu lassen, wird nicht gelingen, indem er Europa ignoriert. Das nämlich ist der Kern des Amazonasschreibens. Der Amazonas ist keineswegs überall und die Probleme der Amazonasregion interessieren geopolitsch bis dato kaum jemanden.
Die große Chance der Amazonassynode, diese Region, die der Papst jetzt so poetisch beschreibt, wirklich einmal geopolitisch zum Punkt erhöhter Aufmerksamkeit zu machen, ist gründlich gescheitert. Sie ist gescheitert an vermeintlichen Freunden, die den Amazonas hier einmal nicht für Rohstoffe ausgebeutet haben. Eurozentrische Kirchenreformer haben die wirtschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Notlagen der Amazonasregion ausgebeutet, um ihre fünf und mehr Jahrzehnte alten aussichtslosen Kirchenreformprogramme nach Rom zu tragen und dort mit Amazonaswasser zu taufen. Das Eurozentrismus pur und das auf dem Rücken der Indianer, denen man zu helfen vorgibt. Viel zynischer geht es nicht.
Nicht der Amazonas ist überall. Protagonisten von Rhein, Main, Ruhr und Isar haben brackige Kirchenpolitikjauche über den Tiber in den Amazonas gespült. Und jetzt müssen sie damit klarkommen, dass alle, die nur können, diese Jauche eben diesen Protagonisten über ihre grauen Häupter schütten. Howgh!
Leider ist „Querida Amazonia“ kein großer Wurf, der das Manko, welches der Synode anhaftet, wett machen könnte. So wie auch dieses gesamte Pontifikat leider kein großer Wurf ist, der uns in Europa helfen könnte, die Kirchenkrise zu überwinden, die nichts anderes als eine Glaubenskrise ist. Der Papst hat es durchaus erkannt. Wäre er in seinen Worten weniger blumig, hätte es uns vielleicht geholfen die Jodelsynode zu verhindern und den Amazoniern vielleicht geholfen, ihre Region in der geopolitischen Betrachtung aufzuwerten. Dies und nichts anderes hatten sich die Bischöfe der Region nämlich von der Synode erhofft. Das wurden jene Bischöfe, die im vergangenen Jahr zu Libori in Paderborn waren, nicht müde zu betonen.
Immer deutlicher zeigt sich, dass eine synodale Kirche eine denkbar schlechte Antwort auf die Krisen unserer Zeit ist. Hier wie dort zeigen sich Synoden vom Ergebnis her immer als Enttäuschungen. Der Glaube ist nicht verhandelbar. Und das Missverständnis, dass eine Synode aber genau das tun soll, ist der Kern des Problems. Der derzeitige Synodalismus wird als eine Zeit großer Irrungen und Wirrungen in die Kirchengeschichte eingehen.