Franz Josef Strauß
Foto: Wikimedia / Gemeinfrei

„Wir werden sie jagen“, sagte ein gewisser Joseph (genannt Joschka) Fischer über das Verhältnis der Grünen Bundestagsfraktion zur CDU-geführten Regierung. „Wir werden sie jagen“, sagte Alexander Gauland über das Verhältnis der AfD zur künftigen CDU-geführten Regierung. Jahre vorher nannte der o.g. Abgeordnete Fischer den Bundestagspräsidenten „ein Arschloch“. Was „auf die Fresse“ für den bisherigen Koalitionspartner kündigte die künftige Oppositionsführerin Andrea Nahles in einer Pressekonferenz an.

Ein bischen Empörung, ein bißchen Belustigung, ein bißchen kalkulierte Provkation, ein bißchen ungeschickter Versuch lustig zu sein.

Damit dürfte dann wohl die veröffentlichte Wahrnehmung gut umschrieben sein.

Nicht nur Politiker können das. Auch Medienleute unserer Tage, gerade die, die für gezielt eingesetzte Sprache ein Talent haben sollte, entgleisen recht munter. Der frühere CvD von katholisch.de, Steffen Zimmermann, bezeichnete AfD- Wähler als „Arschlöcher“. Er löschte danach seinen Twitteraccount, ging in Elternzeit und ist nun im Berliner Büro von katholisch.de. Der Medienchef des Erzbistums Köln bot kürzlich einen Tausch Sachsen gegen tschechischen Atommüll an. Inzwischen gab es eine Entschuldigung.

Auch als Blogger neigt man ja zu einer kraftvollen Sprache. Für einen kritischen Artikel bezüglich eines offenen Briefes (zumeist) pensionierter Priester, bekam ich einen Anruf, in dem man mir die Sorge um den Tonfall in der Kirche mitteilte. Mein Hinweis unser Herr selber habe die Pharisäer bei Gelegenheit als „Schlangen und Natterngezücht“ bezeichnet, verfing nicht. Im Gegenteil, jetzt wurde mir vorgeworfen, den Anrufer als Natterngezücht bezeichnen zu wollen. Ob der Anrufer den gleichen Maßstab bei Politikern oder kirchlichen Mitarbeitern anlegt, kann ich nicht sagen.

Vielleicht kann man bei den Altvorderen der deutschen Politik in die Lehre gehen. Franz- Josef Strauß und Herbert Wehner waren sicher nicht zart besaitet, was den verbalen Schlagabtausch anging. Der Unterschied ist, sie haben sich gegenseitig stilvoll beleidigt, aber nie mimosenhaft angezickt.

Lassen wir mal Strauß zu Wort kommen:

„….Bei Ihnen, Herr Wehner, ist das deshalb möglich, weil Sie – vor allen Dingen dann, wenn Sie verärgert sind – Ihre Umwelt so zu behandeln pflegen, wie ostelbische Gutsbesitzer früher angeblich ihre Kutscher behandelt haben …“.
Teil eines Dialogs mit Herbert Wehner anlässlich der Haushaltsdebatte 1979 im Deutschen Bundestag am 21. September 1978, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages 8.Wahlperiode 104. Sitzung. 1978, S.8187

Herbert Wehner brachte es im Deutschen Bundestag auf 77 Ordnungsrufe. Das ist bis heute Rekord. Der Spruch: „Der Herr badet gern lau.“ über Willy Brandt bei Breschnew in Moskau ist zum Sprichwort geworden.

Ehmke, Brandt, Schmidt, Katzer und viele andere mehr, sind Namen aus der jungen Zeit der Republik, die durch die Bank mit einer kräftigen Sprache in Verbindung gebracht werden. Die Plenardebatten in Deutschen Bundestag hatten echten Unterhaltungswert, sie hatten aber auch echte Debattenkultur. Zwar schmiß man sich die Beleidigungen an den Kopf, die Schimpfworte flogen tief und die Wutrede war fester Bestandteil der Haushaltsdebatte, doch es war auch immer ein Mittel zum Zweck, Aufmerksamkeit für den Inhalt zu finden.

SDoch schenken wir den Herren mal Gehör:

 

Kann man sich das im Deutschen Bundestag noch vorstellen, ohne am selben Tag schon Skandale, Rücktrittsforderungen und vieles mehr auf Facebook, Twitter, in Onlineportalen und Zeitungen zu lesen? Was für Weicheier sind wir doch geworden. Oder nicht? Egal, wie man sich zu der kraftvollen Sprache stellt. Das hatte einen gewissen Stil, der heutigen Debatten abhanden gekommen ist. Wer ganz genau hinschaut und hinhört, kann bemerken, daß in den Reden eine Menge Humor mitschwingt, daß aber auch die Wut eines Herbert Wehner authentisch bleibt. Der Bundeskanzler, der von Strauß heftig wegen seiner Schuldenpolitik attackiert wird, kann trotzdem während der Rede lachen. Die scharfe Sprache, der spitze Humor, die schneidende Ironie und auch die gezielt maßvolle Beleidigung sind einem Zweck untergeordnet. Sie spielen beileibe nicht die erste Rolle.

Da fehlt uns etwas, was eine singende Andrea Nahles im Bundestag nicht aufwiegen kann. Sprachliche Political Correctness und linksspießige Empfindlichkeiten machen die gepflegte Beleidigung unter Kollegen unmöglich. Zugleich aber zieht eine spitze, schrille Tonlage in die Debatte, die ein stetiges Dauerbeleidigtsein eines jeden mit sich bringt und die Debatte an sich verhindert. Eine Talkshowkultur hat unserer Tage die Debattenkultur abgelöst. Die Show ersetzt den Inhalt. Die Show wird gelenkt, von politisch einseitigen Redaktionen, die ihnen nicht genehme Töne gleich ausblenden.

Das ist der Boden, auf dem niveaulose Beleidignungen (Arschlöcher  oder  Sachsen gegen Atommüll) wachsen und gedeihen. Wo sich die Emotion in der Debatte nicht mehr Bahn brechen kann, wo sie stattdessen auf der Showbühne interessengeleitet ist, da wächst die Unkultur der sprachlichen Verrohung. Im Vergleich zur geschliffenen Rede früherer Tage, ist ein Tweet (zudem noch ein beleidigender) ohnehin nur unterirdisches Gestammel.

Wir leiden darunter, keine Debatte mehr führen zu können. Wir leiden darunter, daß die Gesellschaft in all ihren Gliederungen (darunter leider auch die Kirche) nicht mehr um den rechten Weg, das heißt um die Wahrheit streitet. Stattdessen ersticken wir an zuckerwatteförmig dargereichten Alternativlosigkeiten und zicken rum wie kleine Kinder.