Seit nunmehr vier Jahren und einem Monat ist der frühere Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Maria Bergoglio, Papst Franziskus. Am Abend seiner Wahl stand ich durchnäßt und frierend ganz weit vorne auf dem Petersplatz. Ich war auf den Kolonnaden, als er in sein Amt eingeführt wurde, ich war in der Audienz für die Vertreter der Presse und ich durfte vor Ort in Rom seine ersten Schritte beobachten.
Da war einer zum Papst gewählt worden, der sich einen feuchten Dreck um europäische Kultur, um europäische Tradition und ein europäisches Bild von „Papst“ kümmert. Ohne die rote Mozzetta und ohne Stola betrat er die Mittelloggia des Petersdoms. Schwarze Schuhe trug der neue Papst. Bis heute verwendet er die Stola äußerst sparsam, trägt weder Chorrock noch Mozzetta und es ging auch schon mal ein Bild von einem zerschlissenen Ärmel an der päpstlichen Soutane durch die Netze.
Er weigert sich in die Autos zu steigen, die dem Vatikan kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Diese sind ihm zu luxuriös. Es müssen kleine Autos gekauft werden. Er trägt auch nicht das an liturgischer Kleidung, was in der Sakristei von St. Peter bereits hängt. Es müssen neue, ästhetisch wenig ansprechende Gewänder angeschafft werden.
Kurz gesagt, er pflegt den Nimbus des armen Papstes einer armen Kirche. Dazu sollte dann auch sein neuer Wohnort passen. Nicht mehr der Apostolische Palast sollte sein Wohnort sein, vielmehr blieb er in S. Marta wohnen. Billiger ist das nicht. Längst ist durchgesickert, daß dort zwei Etagen durch den Papst belegt sind. Er selber wohnt zwar auf nur wenig Raum, doch drumherum stehen die Zimmer nicht mehr zur Verfügung. Unterm Strich hat wohl schon lange kein Papst mehr so teuer gewohnt. Manche Armut kommt die Kirche eben teuer zu stehen. Und es ist verwunderlich, wie in den reichsten deutschen Bistümern seit jüngster Zeit ein Kult der Armut gepflegt wird. Das macht nicht einmal vor dem barocken Palais Holnstein halt. Barock ist die neue Armut. Zumindest in Teilen Bayerns.
Der Papst redet spontan, handelt spontan und regiert spontan. Da dringt, glaubt man Vatikanmitarbeitern, schon mal in der Mittagspause einer zum Papst vor und bringt beim Kaffee ein neues Gesetz auf den Weg. Auch Papst Franziskus hat den Jurisdiktionsprimat. Was er zur Veröffentlichung anordnet, erlangt Rechtskraft. Unter welchen Umständen die Audienz stattgefunden hat, spielt dabei keine Rolle. Der Papst regiert an der Kurie vorbei, indem er sich schon mal die Mitarbeiter für ein Projekt außerhalb sucht. Die Kurie muß dann ausbaden (d.h. umsetzen und auslegen), was dabei herauskommt.
Der große Wurf der Kurienreform ist auch nach vier Jahren nicht zu erkennen. Die K9 – Runde wirkt inzwischen eher planlos. Von Struktur ist nichts zu erkennen. Pastor bonus gilt weiter, wie zu hören ist. Nicht genaues will keiner wissen. Die Stimmung ist nicht gut. Aber es ist Rom, man arrangiert sich. Es geht irgendwie weiter.
Die Lehre hat in diesem Pontifikat ebenso wie die Liturgie hinter der Pastoral zurück zu stehen. Das kriegen auch Kardinäle zu spüren, die lehrmäßige Fragen an den Papst stellen, wo sie Unklarheit sehen. Die Dubia der vier Kardinäle bezüglich Amoris laetitia sind bis heute unbeantwortet.
Am Beginn des Pontifikats war insbesondere hier in Deutschland eine Stimmung, als breche die Reformation in der römischen Kirche aus. Notorische Papstkritiker in der Professorenschaft der Theologie hängten sich ein Bild vom Papst ins Büro. Der Papst wurde für allerlei Unfug okkupiert. Nichts davon wurde Wirklichkeit.
Der Papst spricht über den Teufel und nennt die Sünde beim Namen. Beides hatte die deutsche Theologie längst abgeschafft. Gendermainstreaming nennt der Papst eine dämonische Ideologie. Abtreibung geißelt der Papst als ein scheußliches Verbrechen. Es sind immer noch keine Frauen zu Priesterinnen geweiht. Und die künstliche Verhütung ist Katholiken noch immer nicht erlaubt.
In all dem papalen Chaos bleibt der Papst und erst recht die Kirche katholisch. Da verwundert es schon, wenn ausgerechnet im Spiegel, der den Papst bislang eher für seine linksliberale Agenda in Besitz nahm, die alte Tradition der Papstschelte wieder aufflammt. Augstein wäre stolz auf Jan Fleischhauer. Oder nicht?
Selbst Erzkatholen wie Matthias Matussek prügeln auf diesen Papst ein. Schon in der Vergangenheit war so manch ein ultrakonservativer superpapsttreuer Katholik vergangener Tage ins Lager der Papstverächter gewechselt. Das hat es bei Katholiken seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben. Rom und der Papst, das war immer der letzte Hort der Rechtgläubigkeit und das Rückzugsrefugium vor dem turboliberalen Deutschkatholizismus. Rom ging immer. Man konnte sich auf Papst Johannes Paul II. verlassen, wenn der deutsche Episkopat zu sehr mit der Welt (der Politik) liebäugelte. Man konnte sich auf Papst Benedikt XVI. verlassen, wenn es darum ging die Lehre sauber und nachvollziehbar zu erklären. Man war gerne dem Papst in Rom treu, bot er doch Schutz vor dem bösen Liberalismus protestantisierender Kräfte bis hinein ins Episkopat.
Vorbei die papale Herrlichkeit des Schutz und Trutz konservativer Wehr im Vatikan. Der Papst ist radikal anders und er kümmert sich gar nicht um diese Probleme, die er als dekadent empfindet. Für ihn steht der Mensch, der am Rande der Gesellschaft lebt im Mittelpunkt. Die Option für die Armen ist in Rom angekommen. Der Glaube wird politisch. Die bürgerlichen Katholiken Europas und erst recht die bürgerlich – verweltlichten Katholiken Deutschlands, sind ihn ein Dorn im Auge. Er mag sie nicht. Man revanchiert sich, indem man ihn ebenfalls nicht mag.
Da wird dann schon mal gerne der Untergang der Kirche prophezeit. Nur weil der Papst etwas chaotisch ist, geht wahrlich nicht gleich die Kirche unter.
… et portae inferi non praevalebunt adversum eam.
Die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwinden und ein lateinamerikanischer Machopontifex fährt sie auch nicht gegen die Wand. Das nämlich ist das Problem, daß dieser Papst in der Tat brachialer und radikaler agiert als alle seine Vorgänger in diesem und dem vergangen Jahrhundert. Mit dieser autoritären Form der Herrschaft kommen wir offensichtlich nicht mehr so gut klar. Geht man dem Stil seiner Herrschaft mal auf den Grund und nimmt einmal völlig ernst, was er uns zumutet, auch und gerade mit der Ignoranz gegenüber Europa und den europäischen Traditionen, dann ist er ein Vater, der seine Kinder aus dem Nest wirft. Geht, geht in die Welt, ihr seid so lange Christen hier in Europa, nun lebt das auch in eurer Welt, hier in Europa! Nur ein starkes, überzeugend gelebtes Christentum in Europa könnte ihn überzeugen. Das sollte ein Ansporn sein.
Immer wieder spricht der Papst von der Verantwortung der Ortskirchen. Das ist etwas, was uns auch hier in Deutschland gut tun wird. Langfristig wird sich kein Bischof mehr hinter dem „bösen Rom“ verstecken können. Unsere Herren Episkopen müssen selber bekennen. Nun gut, erst einmal liefert das seltsame Zwischenergebnisse.
Der Bischof von Essen als Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen versucht aus der Kirche die neue SPD zu machen. Der Vorsitzende der DBK gefällt sich sehr als Politiker und kündigt sogar in der Osterpredigt an, sich in der Wahlkampf einmischen zu wollen. Nicht bekannt ist, ob er ein Ministeramt anstrebt.
Der Papst zwingt die Kirche in eine größere Langfristigkeit. Diese bischöflichen Fehlentwicklungen sind vermutlich einkalkuliert. Als Katholiken sind ja die Laien durchaus mündig. Von daher müssen sie sich nicht von ihren Hirten in Bockshorn jagen lassen. Geht es um den Glauben, d.h. um die reine Lehre, dann verkündigen sie ja plötzlich (fast) alle ganz ordentlich. Den Glauben zu verkünden und zu stärken, das ist ihre primäre Aufgabe, die sie erst noch wieder entdecken müssen. Der Papst hat auch das Programm der Entweltlichung radikalisiert. Wer sich zu sehr verweltlichen läßt, wird über kurz oder lang tatsächlich das Schicksal der EKD teilen und in die völlige Bedeutungslosigkeit sinken.
Auf den ersten Blick, da könnte man Fleischhauer recht geben, geht ein solcher Impuls vom Papst aus. Doch dieser Blick, den leider auch viele in Deutschland haben, täuscht gewaltig. Kommt es zum Schwur, ist der Papst empört, daß man von ihm etwas erwartet, das nicht der Lehre der Kirche entspricht. In der Auslegung ist er dann trotzdem oft genug leger, sehr leger. Das darf einen stören, es muß sogar verstören, es zwingt niemanden genauso zu handeln. Wieder: Die Verantwortung liegt bei den Handelnden selbst.
Damit setzt der Papst all jene, die sein laizess-faire nicht mitmachen und mit tragen wollen, der veröffentlichten Meinung aus. Dann wirkt der Heilige Vater doch etwas stiefväterlich.
Bei aller Schwarzmalerei rund um dieses Pontifikat muß man doch anerkennen, welche Herausforderung dahinter steht. Es ist egal, was der Papst in Rom tut oder nicht tut, katholisch bin ich hier vor Ort, wo ich lebe. Katholisch ereignet sich nicht in irgendeinem Sonderuniversum, sondern hier in der Welt. Zeit für eine Relecture von Madeleine Delbrêl. Wir sind / leben / wirken in der Welt, aber wir sind nicht von der Welt. Das hat Jesus selbst uns gesagt. Das hat uns Papst Benedikt XVI. deutlich ins Stammbuch geschrieben.
Abgerechnet über ein Pontifikat wird von der Kirchengeschichte. Das müssen wir nicht tun. Ob dieses Pontifikat zukunftsweisend ist, darf bezweifelt werden. Sage ich, andere mögen es anders sehen. Die Katastrophe, die einige glauben, an die Wand malen zu müssen, wird es auch nicht werden.
Lassen wir den Papst in Rom und seien wir katholisch zu Hause.