Es gibt so gut wie keine Priesteramtskandidaten mehr. Das hat wohl inzwischen jeder begriffen, der sich ein wenig in der katholischen Kirche in Deutschland auskennt. Im Erzbistum Paderborn wurden in den 80er Jahren zuweilen 30 und mehr junge Männer zu Priestern geweiht. Heute sind es zwischen drei und fünf.
Bei den Priesteramtskandidaten sei die katholische Kirche in Deutschland „quasi an der Nulllinie“ angekommen, zitiert die kna den Vorsitzenden der Regentenkonferenz in Deutschland, Hartmut Niehues. Die „Nulllinie“ bezeichnet im medizinischen Kontext zumeist den Herzstillstand. Auf dem EKG sind nicht mehr die charakteristischen Wellenlinien zu sehen, die ein schlagendes Herz anzeigen. Es ist nur noch eine Linie zu sehen und der Arzt spricht das bedeutungsschwere Wort „Exitus“. Der Patient ist tot.
Wenn nun der Sprecher der Regenten deutscher Diözesen von einer solchen Nulllinie in Bezug auf die Priesterausbildung spricht, dann ist das ein Alarmsignal, wie es kaum schlimmer sein könnte. Berufungen, das ist eine Binsenweisheit, können wir nicht machen. Wir können sie uns nur schenken lassen. Bedeutet das denn nun, daß Gott aufgehört hat, uns Berufungen zu schenken? Mitnichten! Ein Blick in die Seminare eher traditionell ausgerichteter Gemeinschaften zeigt, daß es nach wie vor Berufungen gibt. Natürlich kommen diese Berufungen aus dem Mistbeet eben jener traditionellen Gemeinschaften. Stellt man da Relationen her, wieviele Kandidaten auf wieviele Gläubige kommen, so kann man ganz sicher von einer recht Berufungsstruktur sprechen. Es dabei weniger um absolute Zahlen, denn die wären auch bei traditionellen Gemeinschaften nicht so, daß sie den Priestermangel in den Diözesen ausgleichen könnten. Das sollen sie letztendlich auch nicht.
Schaut man aus einem anderen Blickwinkel, so dürfte das Verhältnis Gläubige zu Berufungen in den Diözesen nicht schlechter aussehen als in den traditionellen Gemeinschaften. Auch hier geht es wieder nicht um absolute Zahlen oder Zehntelprozente, es geht um die Tendenz. Gott rechnet nicht. Gott ruft.
Nun wirkt aber, wie der Hl. Thomas von Aquin so schön sagte, die Gnade mit der Natur. Gott beruft eben aus jenen jungen Menschen, die sich ihm und seinem Wirken öffnen diejenigen, die für den priesterlichen Dienst vorgesehen sind. Es bedarf dazu das Hören auf den Ruf Gottes und die Antwort des Gerufenen in seinem Leben. Eignung, Neigung und Annahme durch die konkrete Gemeinschaft sind Bestandteile der Berufung eines jeden, der einen geistlichen Weg geht.
In einer Teilkirche oder in den Teilkirchen einer Region, eines Landes, in denen das kirchliche Leben quasi vollends zum Erliegen gekommen ist, muß sich niemand wundern, wenn es so gut wie keine Berufungen zu einem geistlichen Leben im Priesteramt oder in einer Gemeinschaft mehr gibt. Woher sollten denn die Berufenen kommen, wenn nicht aus der Gemeinschaft der Gläubigen, die aus dem Glauben gerade eben in und mit der Kirche leben? Zwar ist der regelmäßige sonntägliche Gottesdienstbesuch nicht der einzige Maßstab dafür, doch er ist ein Marker, an dem sich viel ablesen läßt. Mehr noch wäre es nötig auch noch einen Blick auf die Altersstruktur der Besucher der Hl. Messe am Sonntag zu werfen. Die Erstkommunion ist fast überall gewesen, d.h. die jungen Muttis und die Kommunionkinder sind erst mal wieder weg. Der Altersdurchschnitt in den Kirchenbänken darf sich also wieder zwischen 70 und 80 einpendeln.
Da sind keine jungen Leute in den Gemeinden, deren Berufung auf dem Mistbeet des Glaubens der konkreten Gemeinde vor Ort wachsen könnte. Sollte doch mal einer da sein, der sich versucht seiner Berufung zu stellen, kann er mit viel Widerstand rechnen. Angefangen beim Elternhaus über den Freundeskreis, die Schule und selbst Priester haben heute nicht selten die Neigung, jungen Männern eher mal eine Berufung auszureden, statt sie auf dem Weg zu begleiten. Abgesehen davon haben Priester in den heutigen Pastoralkolchosen dafür ohnehin kaum noch die Zeit. Gerade das aber braucht ein junger Mensch, der in sich die zarte Pflanze der Berufung entdeckt: Den vollen Rückhalt des sozialen Umfeldes und einen guten Priester als geistlichen Begleiter, der den Weg mitgeht.
Es verwundert nicht im geringsten, wenn wir in der gegenwärtigen Situation der Kirche in nicht allzu ferner Zeit den Herztod der Priesterausbildung feststellen müssen. Denn lange vor diesem steht noch ein anderes Sterben. Das Sterben der Gemeinden. Es ist in vollem Gange. Die Volkskirche ist am Ende. Damit ist auch die volkskirchliche Priesterausbildung am Ende.
Dennoch sieht die Zukunft nicht düster aus. Der Kirche ist Bestand verheißen. Der Sozialform Volkskirche ist dieser Bestand nicht verheißen. Mag sie untergehen. Besser gestern als heute. Die Mistbeete des Glaubens und der Berufungen schimmern schon längst durch den kargen Boden der verkarsteten volkskirchlichen Landschaft. Geistliche Gemeinschaften, die sich der Tradition verpflichtet fühlen sind eines solcher Mistbeete. Nightfever und ähnlich Bewegungen deuten die Richtung, in die es gehen könnte. Dort liegt die Hoffnung der Kirche für die Zukunft.
Und jene wenigen, die sich noch entscheiden, ihrem Ruf in den priesterlichen Dienst in einer Diözese zu folgen, kann man nur sehr viel Kraft und Mut wünschen, denn sie gehen einen harten Weg in eine ausgesprochen unattraktive berufliche Zukunft. Doch auch sie sind Wegbereiter des Neuen, was Gott in unserem Land wachsen läßt. Sie bereiten den Weg für die Neuevangelisierung auch dann, wenn sie gefühlt dem Abrißkommando angehören. Den Bischöfen kann man nur raten, bei der Ausbildung ihrer wenigen Priesteramtskandidaten flexibel zu sein. Für die jungen Männer ist es schwer genug eine Ausbildungs- oder Seminarzeit als „Einzelkind“ zu durchlaufen.
Die Auferstehung ist Kernbestand unseres Glaubens. Der Tod, auch der Herztod der volkskirchlich geprägten Priesterausbildung, ist nicht das Ende.
Das letzte Wort spricht Gott.