Das Zeitalter der Vernunft hat auch keine Antwort gefunden. Es hat sogar mit seinen Diktaturen erst dem unbegrenzten Morden den Weg bereitet. Der überraschende Einspruch, der allmächtige Gott müsse die Unschuldigen aus den Händen der politischen Massenmörder retten muss an die Vernunft zurückgegeben werden. Sie muss doch erklären, warum gerade das 20. Jahrhundert mit seinen Ideologien zu so vielen Toten geführt hat. Für die Christen bleibt die Frage, warum trotz des Todes Jesu immer noch so viele Menschen der Gewalt und dem Missbrauch zum Opfer fallen. Ob diejenigen, die von Gott ein Eingreifen verlangen oder die Christen, die des Todes Jesu in jedem Gottesdienst gedenken, beide haben wohl den Auftrag nicht richtig verstanden. Denn ob aus der Vernunft oder aus der Passion Jesu müsste doch die Konsequenz heißen: Weniger Hass und weniger Gewalt.
Aus: Eckhard Bieger S.J. Karfreitag: Gott und das Leid. Eine Rundmail zu Karfreitag 2017.

Manchmal bekommt man mit dem ganzen Wust an Mails doch das eine oder andere kleine Edelsteinchen. Mit der Frage nach dem Leid und dem Opfer Christi hatte sich der Jesuit und langjährige Rundfunkbeauftragte der Kirche, Eckhard Bieger S.J., befaßt. Der obige Auszug stammt aus seiner Rundmail. Er enthält die uralte Verzweiflung, das Leid ist nicht rational erklärbar und mit dem Kreuzesopfer Christi müsse doch zumindest Gewalt, Tod, Morden und Hass ein Ende finden. Gelinge es diesem nicht, so sollte doch die menschliche Vernunft hier endlich einmal einschreiten.

Was soll da alles? Wir feiern seit fast 2000 Jahren immer wieder Ostern. Der Karfreitag geht dem großen Fest voraus. Von Anfang an haben sich die Apostel Gedanken gemacht, wie denn die Bedeutung der Passion Christi zu verstehen sein. So zentral ist die Passion, daß sie den Kernbestand eines jeden Evangeliums bildet. Etwas mutig könnte man sagen, ein Evanglelium ist eine Passionsgeschichte mit etwas drumherum, was das Entstehen der Passion verständlich macht.

Paulus entwickelt eine regelrechte Lehre rund um Leiden und Tod Christi. Er reflektiert dies vor der jüdischen Tradition ebenso wie vor der rund um das Mittelmeer verbreiteten griechischen Vernunft. Paulus wirkt daran, der Passion einen Platz in der europäischen Geistesgeschichte zu geben. Später übernehmen es die frühen Theologen der Kirche, die Passion zu deuten und zu erschließen.

Es ist das eine Opfer Christi, das die Menschen erlöst. Es braucht nicht mehr den Hohenpriester, der erst einmal selber das Sündopfer für sich selbst darbringen muß, weil er selber ein Sünder ist. Nun haben wir aber auch nicht einen Hohenpriester, der komplett abgehoben wäre und so etwas wie Sünde gar  nicht nachvollziehen kann. Jesus Christus ist Mensch und in allen wie wir. Ausgenommen die Sünde. Das erst macht das Sühnopfer zu einem vollkommen befreienden Opfer.

Bis in die Neuzeit ist das kein Problem. Doch dann kommen neue Fragen auf. Wie kann ein gütiger, liebender Gott das Opfer seines Sohnes fordern? Das ist typisch, so zu fragen. Es wird auch an anderer Stelle so abgründig gefragt. In der Paradieserzählung fragt die Schlange danach, ob Gott wirklich verboten hat von den Bäumen des Gartens zu essen. Hat er nicht. Gott hat dem Menschen eine Beschränkung auferlegt, die ihm zu Nutze sein sollte. Auf Grund der subtilen Frage gerät Eva ins Schwimmen und beginnt Gott zu mißtrauen. Da ist der Boden für den Sündenfall schon bereitet. Das nämlich ist der Kern des Sündenfalls: Gott nicht (mehr) zu vertrauen.

Und aus dieser Quelle speist sich auch die Frage nach dem liebenden Gott und dem Opfer des Sohnes. Da wird ein Widerspruch konstruiert, der so gar nicht existiert. Es ist nicht das Verlangen des Vaters, daß sich der Sohn opfert. Es ist die Liebe Gottes, die ihn treibt, selber die Zeche zu zahlen, die seine Kinder verursacht haben. Mit dem Sündenfall ist der Hass, die Gewalt und der Tod in die Welt gekommen. Der Sohn kommt als Mensch in die Welt, um genau das selber zu erleiden, was die Sünde in die Welt gebracht hat. Und damit nimmt er alle Sünden auf sich. Das kann nur er, der keine Sünde hat.

Nur er kann die Sünde und die Folge der Sünde, den Tod überwinden, indem er freiwillig alles das auf sich nimmt. Die Liebe Gottes kennt keine Grenze, sie macht auch da nicht halt, wo jeder von uns zurückschrecken würde. Darum kann Leiden, Tod und Auferstehung Christi richten, was der Mensch durch die Sünde zerstört hat. Gott hat die Sünde besiegt. Es gibt aber keinen Dualismus. Gut und Böse sind nicht gleichrangig. Der Sieg über die Sünde ereignet sich in einer eschatologischen Größenordnung. Vom Ende her gesehen, ist die Sünde und damit auch der Tod besiegt.

Das hat sich in der Zeit ereignet, es ist ein historisches Geschehen. Doch das Kreuz wirkt über die Zeit hinaus in die Ewigkeit. Darum ist das Kreuz auch heute gegenwärtig. Weil aber der Sieg über den Tod erst zur Vollendung kommt, wenn das Reich Gottes vollendet wird, sind wir hier noch immer in der Sünde gefangen. Das ist nicht hoffnungslos, denn das Beispiel vieler Heiliger zeigt uns, daß wir tatsächlich den Hass und die Gewalt überwinden können. Aber die alte Schlange ist noch aktiv und verführt den Menschen mit honigsüßen Verlockungen von Macht und Einfluß, von Ruhm und Herrlichkeit zu immer neuen Untaten. Die Sünde ist noch in der Welt, doch Jesus Christuns hat die Welt besiegt.

Die Ungelduld derer, die heute nach weniger Gewalt und Hass fragen, ist die Ungeduld der Jünger, die ihren Herrn fragen, ob er in diesen Tagen das Reich wieder herstellt. Es hört nie auf, das Mühen darum, Christus ähnlicher zu werden. Und damit hört auch das Mühen nicht auf, Hass und Gewalt zu überwinden. Das Osterfest leuchtet am allerdunkelsten Ende des Karfreitags schon am Horizont auf. Die Vernunft mag scheitern. Das Opfer Christi war nicht vergebens. Das ewige Ostern leuchtet schon in die Zeit hinein und der Weg war und ist das Kreuzesopfer Christi.

Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt;
und das ist der Karfreitag.