Ende der Ära Merkel. Weniger Drama und mehr Grau war noch nie. Dabei ist das Land in einer fundamentalen Krise.
Bundeskanzleramt Berlin – Bild von swandhoefer auf Pixabay

Nun ist sie zu Ende, die in jüngster Zeit so viel besungene Ära Merkel. Eine Zeit von mehr als eineinhalb Jahrzenten geht zu Ende, im dem unser Land nach und nach weiter abgehängt wurde. Dringendstes Thema für die Zukunft ist die Digitalisierung des Landes. In der vergangenen Legislaturperiode war dies sogar bei einem Staatsministerium im Bundeskanzleramt angesiedelt. Es ist nicht leicht, an dieser Stelle nicht in die Glosse abzugleiten. Fast könnte man denken, die Verhinderung der Digitalisierung sei so zur Chefinnensache gemacht worden. Staatsminsterin Bär jedenfalls geht recht analog aus dem Amt. Die Funklöcher sind nicht wesentlich kleiner. Der Glasfaserausbau ist angelaufen, trotzdem ist in vielen Orten schnelles Internet ein schnell zu Ende geträumter Traum.

Wirtschaftlich bedroht

Wirtschaftlich bedrohen Mobilitäts- und Energiewende den Wohlstand im Land nachhaltig. Sozial war die Spaltung der Bevölkerung noch nie so dramatisch. Zwischen Linksextrem und Rechtsextrem wird eine immer dünner werdende politische Mitte eingequetscht. Konservative, Bürgerliche, Ordoliberale, gemäßigte Sozialdemokraten, Libertäre teilen sich eine immer kleiner werdenden freiheitlich-demokratische Scholle.

Die Krisenrepublik, das ist die einzig angemessene Bezeichnung für die Bundesrepublik unter einer Kanzlerin Merkel. Da hieß es, „Merkel kann Krise“. Ja, aber konnte sie auch ohne Krise regieren? Da waren die Finanzkrise 2008, die Eurokrise 2010, die Flüchtlingskrise 2015 und die Coronakrise 2020. Was es seit 2005 eigentlich gar nicht gab, war ein Regierungsziel, eine Vorstellung, wohin sich unser Land entwickeln soll. Es müssen ja nicht gleich Visionen sein. Eine Perspektive wäre mal was gewesen. Die Politik war flach und wurde nur auf Sicht, das heißt reaktiv, im Kanzleramt gemacht. Die einzelnen Fachminister waren faktisch immer nur ausführende Organe des Kanzleramts, wo die alternativlosen Entscheidungen – auf Sicht – gefällt wurden.

Zentralsteuerung als Prinzip

Egal, ob es Außenpolitik war, Finanzpolitik, Energiepolitik oder am Ende der Regierungszeit eine spezielle Form von Gesundheitspolitik. Es wurde alles im Kanzleramt gemacht. Das Parlament verlor im Laufe der sechzehn Jahre immer mehr an Bedeutung. Es wurde abgenickt, was die Exekutive längst beschlossen hatte. Formell hat sich das Parlament am Ende sogar selbst mit dem Infektionsschutzgesetz komplett kastriert, als der Exekutive im Grunde alle Vollmachten übergeben wurden. Das Ausmaß der Ermächtigungen war besorgniserregend. So ist es – aller lauten Presseschelte zum Trotz – ein Zeichen der Hoffnung, dass der neue Bundestag die epidemische Lage von nationaler Tragweite nicht verlängert hat. Das hat nichts mit Weg- oder Kleinreden der Epidemie zu tun, sondern einzig und allein mit der Wiederherstellung des demokratischen Normalfalles. Jetzt müssen die Ministerpräsidenten ihre Landtage fragen, wenn sie etwas wollen. Willkommen in der Mühsal der demokratischen Wirklichkeit.

Das Ende der Ära Merkel war die fast totale Abschaltung fast aller Verfassungsorgane. Faktisch wurde unser Land von einem nicht existenten Gremium ohne jede Legitimation regiert: Der Ministerpräsidentenkonferenz unter Vorsitz der Bundeskanzlerin. Weniger demokratisch legitimiert wurden wir seit 1949 nie regiert. Das war keineswegs eine Ausnahme, vielmehr gehörte das zum System Merkel. Es wurde so regiert, wie es gerade passte und nicht, wie es die Verfassung vorschreibt. Krisen machen es möglich, weil die Meisterung der Krise immer eindeutig Vorrang vor rechtlichen Quisquilien haben muss. Darum waren die Krisen für die Krisenkanzlerin so praktisch. Sie konnte, ohne die Verfassungsorgane abzuschaffen, derer sie sich ja immer dann bediente, wenn es unangenehme Entscheidungen zu fällen gab, einfach durchregieren.

Keine Diktatur

Der Vorwurf eine Diktatur zu errichten traf dennoch nicht zu, denn die Übergabe der Regierungsgeschäfte nach Wahl des neuen Kanzlers ging reibungslos. Das war schon fast langweilig, wie das ablief. Mehr noch, der neue Kanzler durfte sogar schon mitkanzlern als er noch gar nicht gewählt war. Hier leuchtet wieder der antidemokratische Geist durch, denn ein solches Verhalten sieht die Verfassung gar nicht vor. Die alte Regierung bleibt geschäftsführend im Amt, bis die neue Regierung gewählt ist. Was man für eine Reihe von netten Gesten halten könnte, zeigt nurmehr erneut wie wenig sich die Ex-Kanzlerin für die verfassungsmäßige Ordnung interessierte. In diesem Fall profitierte der neue Kanzler davon, weil er vor Beginn der Amtszeit Einblick in die Regierungsgeschäfte des Kanzleramts erhielt.

Mit Rückblick auf das Regierungshandeln der Ex-Kanzlerin kann man von einem funktionell-pragmatischen Totalitarismus sprechen. Zweckgebunden errichtete Strukturen, die Verfassungsorgane umgehen konnten, wurden fallengelassen, wenn sie nicht mehr gebraucht wurden. Auch wenn die verfassungsgemäße Ordnung faktisch nie außer Kraft war, spielte sie für den Alltag des Regierungshandelns zumindest zeitweise keine Rolle. Auch wenn wir alle Verfassungsorgane nach dem Regierungswechsel arbeitsfähig vorfinden, ist die Gefahr von Schädigungen des demokratischen Systems nicht auszuschließen. Man gewöhnt sich so leicht daran.

Wen interessieren Gesetze?

Ein weiteres Merkmal der jetzt zu Ende gegangenen Ära ist ein sehr seltsames Verhältnis zu Recht und Gesetz und zur Verfassung insbesondere. Sowohl in der Bankenkrise, als auch in der Eurokrise, der Flüchtlingskrise und in der Coronakrise wurde nach Ansicht von Fachleuten immer wieder nationales und internationales Recht gebrochen. Folgen: keine. Ferner wurden Gesetzesvorhaben auch dann durchs Parlament gepeitscht, wenn der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages verfassungsrechtliche Bedenken äußerte. Das NetzDG ist nur ein Beispiel dafür. Über den Atomausstieg bis hin zu sogenannten „Ehe für alle“ wurden oft genug Entscheidungen sehr spontan und hart am Wind des temporären gesellschaftlichen Mainstream gefällt. Folgen: Reichlich. Die Dunkelflaute und ein Blackout der Stromversorgung sind weitaus mehr als theoretische Möglichkeiten, nachdem die grundlastfähige Kernkraft den nächtlichen Alptraum der Krisenkanzlerin zum Opfer fiel.

Ein anderes Land

Am Ende der sechzehn Jahre festzustellen, dass die Gesellschaft eine andere geworden ist, wäre banal. Eine Gesellschaft, die sich sechzehn Jahre lang nicht verändert, wäre gerade noch ein Leichenhaus. Doch man darf fragen, was in den sechzehn Jahren der Kanzlerschaft Merkels besser geworden wäre und man könnte lange suchen. Am Ende bleiben eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, eine unglaubwürdige gewordene Medienlandschaft, eine ruinierte Wirtschaft, eine desavouierte Wissenschaft, eine entkernte CDU, ein Land in der (Dauer-)Krise und eine ganze Menge schwer angeschlagener Verfassungsorgane, darunter nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht, zurück.

Wenn sich unter der kunterbunten Ampelregierung auch Deutschland sicher nicht erholen wird, wovon auszugehen ist, so könnte sich jedoch zumindest die CDU bequemen, die Zeit zu nutzen, um sich zu erholen und sich neu aufzustellen, um nach vier Jahren Ampel für einen Bundeskanzler einer dann hoffentlich wieder wählbaren CDU die Regierungsbank zu erringen. Die Hoffnung auf Verbesserung, die hat Merkel bei mir in der Tat nicht kaputt gekriegt.