Öffentliche Meinung und die Gefahren der Zensur

Wer eine lockere Klappe hat und wem sein Morgenmantel lieb ist, der sollte sich besser aus dem Sozialen Medien zurückziehen. Spürnasen durchkämmen die Plattformen nach Inhalten, die zwar möglicherweise von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, aber den Mächtigen nicht opportun erscheinen. Es war ein Fehler, Stammtische an die große Öffentlichkeit zu tragen. 
Symbole verschiedener Sozialer Medien. Foto: Pixabay
Symbole verschiedener Sozialer Medien. Foto: Pixabay

Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Das Experiment mit usergeneriertem Content ist einstweilen mal gescheitert. Nachdem nun unter Verweis auf angebliche ausländische Beeinflussung in den Sozialen Medien die Präsidentenwahl in einem europäischen Land rückgängig gemacht wurde, sind die Sozialen Medien durch ihre Kontrolleure gemeinsam vollständig desavouiert. In Deutschland haben wir leider das Muster für den Vorfall. Damals bedurfte es eines Kanzlerinnenbefehls und die Wahl eines Ministerpräsidenten wurde rückgängig gemacht.

Staatliche Zensur in privater Hand

Parteipolitisch gebildete Regierungen vergeben inzwischen staatliche Gelder um den Nutzer der Sozialen Medien vor „Hass und Hetze“ sowie vor „Desinformation“ zu schützen. Wovor schützen die uns, wenn nicht vor unliebsamen Meinungen, die aber von der Verfassung gedeckt sind? Der Normalbürger soll zum Melder, zum Denunzianten werden. Bei den staatlich ernannten Faktencheckern zu melden sind: „Ein Gerücht in der Messengergruppe, eine Parole am Stammtisch, ein gefälschtes Video in einem sozialen Netzwerk…“ Im Faktenforum von Correctiv soll die deutsche Meldemuschi alles das brav abliefern, was die Obrigkeit verboten hat. Wahrheitsgurus werden dann in unfehlbarer Weisheit ihr Urteil fällen, ob es sich um Wahrheit oder Fake, um erlaubte Äußerungen oder Hass und Hetze handelt.

Nun ist das mit der Wahrheit so eine Sache. “Einer hat immer Unrecht: aber mit zweien beginnt die Wahrheit. Einer kann sich nicht beweisen: aber zweie kann man bereits nicht widerlegen.”, schrieb der Philosoph Friedrich Nietzsche in „Die fröhliche Wissenschaft“. Hannah Arendt wandelte das Zitat ab zu: „Wahrheit gibt es nur zu zweien.“ Eine Einschränkung ist an dieser Stelle nötig, es geht um vorletzte Dinge. In letzten Dingen gilt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben…“ (Joh 14, 6) Geht es um das Ewige, ist die Wahrheit nicht nur singulär sondern sogar personal. Kein Mensch kann allein oder zu zweit eine absolute Wahrheiten sagen, wenn sie nicht vom Herrn oder vom Beistand, dem Heiligen Geist, der uns alles lehren soll, kommt.

Vorletzte Wahrheiten

Vorletzte Wahrheiten ist alles, was von zeitlicher Relevanz ist. Erkenntnisse der Wissenschaft betrifft dies ebenso, wie politische Ziele, Ansichten und Absichten. Methoden der Ökonomie unterliegen dieser Beschränkung ebenso wie soziale Mechanismen. Der öffentliche Diskurs ohne den es keine Freiheit und auch keine Demokratie gibt, verbietet die Behauptung einer exklusiven oder absoluten Wahrheit geradezu existential. Und so bleibe ich aus Prinzip Klimaleugner, so lange der menschengemachte Klimawandel als absolute Wahrheit gilt. Mit vielen anderen ist es mir ein Anliegen, die Kritik an einer dogmatisch vorgetragenen Ideologie, nichts anderes ist nämlich die in Gestalt einer vermeintlich absoluten Wahrheit vorgetragene (wissenschaftliche) Meinung zu hinterfragen. Und mögen 99,9 Prozent aller Klimaforscher sich über den menschengemachten Klimawandel einig sein, so bleibt es immer noch dabei, dass Majorität kein Kriterium für Wahrheit ist.

Jedem muss klar sein, dass gerade in dem letzten Satz die schärfste nur denkbare Demokratiekritik liegt. Und um die Demokratie zu schützen, ist dieser Satz elementar. Nur eine stets auch methodisch kritisierte Demokratie bleibt eine Demokratie und damit auch ein Garant der Freiheit. Denn gerade die Freiheit ist es, die es zu verteidigen und zu wahren gilt. Wo Politik mit moralischem Duktus gemacht wird, wo Alternativlosigkeiten behauptet werden, wo notwendige Diskurse als xyz-Diskussionsorgien bezeichnet werden, da ist vielleicht nicht die Demokratie in Gefahr. Auch die DDR war eine Demokratie. Aber die Freiheit ist in höchster Gefahr, wo eine Wahrheit singulär behauptet und jede anderslautende Meinung als Hass, Hetze oder Desinformation gebrandmarkt wird.

Der gute alte Stammtisch

Als Boomer erinnere ich mich noch bestens jener angetrunkenen alten Männer an den Stammtischen. Sie fetzten sich, brüllten sich an, klopften auf den Tisch, da flogen die Fetzen gegen die Sozis, diese Verräter, den Kohl, diesen Umfaller, den Wahl- und Wende-Genscherich. Da wurde in einem Tonfall über Politiker hergezogen, für den man heute zwingend einen frisch gewaschenen Bademantel bereit halten sollte. Und das allerschlimmste, nicht selten saß der örtliche Schutzmann mit am Tisch. Es gab weder Verhaftungen noch Strafbefehle. Scharfe Kommentare gegen die Regierung in den Tageszeitungen waren an der Tagesordnung. Selbst in Lokalzeitungen konnte man bissige Kritik an Orts-, Landes- und Bundespolitikern lesen. Auch hier gab es keine Festnahmen. Selbst die öffentlich-rechtlichen Sender leisteten sich ein Spektrum von Löwenthal bis Bednarz und setzten Hauser und Kienzle in eine gemeinsame Sendung. Hat eigentlich mal jemand bemerkt, dass das heute undenkbar wäre. Nehmen wir mal an, das ZDF käme auf die Idee Böhmermann und Reichelt eine gemeinsame Sendung machen zu lassen. Der zu erwartende Shitstorm der linken Blase würde diese Sendung canceln, noch bevor der Programmdirektor auch nur den Namen der Sendung sagen könnte. Noch Fragen, Hauser? Nein, Kienzle, Ihre Sorte hat vorerst gewonnen.

Öffentlich-rechtliche Nachrichtensendungen sind inzwischen zu wokem Infotainment mit einer gehörigen Dosis Moralin geworden. Die nüchterne Meldung, die dem Zuschauer die Deutung überlässt, ist an zu viel Haltung gestorben. Ja mehr noch, inzwischen predigen Journalisten völlig unverhohlen, dass neutraler Journalismus nicht mehr angezeigt ist. Die Begründung – hier beginnt es sich im Kreis zu drehen – Hass, Hetze, Desinformation.

Nun hatte schon früher jeder Stammtisch seinen alten Nazi, der schon mal rauslies, dass „die Rassen doch unter sich bleiben sollten“. Auch den radikalen Sozi, nicht selten ein Lehrer, der den örtlichen Fabrikanten enteignen wollte, gab es. War alles von jedem gesagt, bestellte man die nächste Runde Bier und Korn und ging zum Fußball über oder zum Wetter oder zog über den Pastor her.

Der toxische Weltstammtisch

Nicht nur ganz Deutschland ist inzwischen ein Stammtisch. Die ganze Welt hat sich in einen Stammtisch verwandelt. Und während man dem Stammtisch sein zuweilen alkoholgeschwängert unterirdisches Diskursniveau zubilligte, haben wir heute – vielleicht auch mit zu viel Alkohol – das unterirdische Niveau in der sozialen Medien 24/7 auf jedem mobilen und immobilen Endgerät. Übrigens auch „die da oben“, die am Stammtisch niemals mithörten, lesen in Gestalt bezahlter Mitarbeiter und beauftragter Agenturen nun jederzeit mit. Der Bürger ist gläserner geworden als er es je zu Zeiten von Stasi und Gestapo, KGB oder Securitate oder auch FBI vor den elektronischen Möglichkeiten der öffentlichen Selbstdarstellung war.

Um es hier mal ganz deutlich zu sagen: Mein engstes privates Umfeld weiß natürlich vollkommen ungeschönt und unzensiert, was ich über Herrn Minister A oder Frau Minister B denke. Ich kennzeichne solch höchst privaten Äußerungen als nicht zitierfähig. Ja mehr noch, ein Meme mit einem Minister zu veröffentlichen, das ihn als „Schwachkopf“ tituliert, selbst wenn ich privat so dächte, empfinde ich als Ausdruck schlechter Manieren. Einen Menschen mit derart schlechten Manieren anzuzeigen und sein Haus polizeilich durchsuchen zu lassen, empfinde ich allerdings ebenfalls als unanständig und als Zeichen von mangelndem Selbstbewusstsein. Mir stellt sich dann die Frage: Hat der das nötig? Scheinbar hat er. Höchst bedauerlich. Öffentlich schreibe ich meine höchst privaten Ansichten weder in Blogartikeln noch in anderen Publikationsformen elektronischer oder gedruckter Art nieder. Sachliche Kritik übe ich in Kommentaren und Essays an jedem Politiker völlig diskriminierungsfrei ohne Ansehen von Alter, Geschlecht, politischer Gesinnung, Religion u.ä.

Nötige Regierungs- und Oppositionskritik

So finde ich derzeit kritikwürdig, dass die CDU unter ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz die Brandmauer gegen AfD und Linke nicht abreist oder wenigstens auch gegen die Grünen und BSW errichtet. Man merkt es, nicht wahr? Die Brandmauer nimmt die CDU in Haft und niemanden sonst. Die CDU amputiert sich mit der Brandmauer und macht eine CDU-SPD-Grünen-Koalition alternativlos. Es ist eine scheußliche Vorstellung, zum einen einer weiteren Verzögerung eines Politikwechsels entgegen zu sehen und dann darauf warten zu können, dass die Erfolglosigkeit der kommenden Regierung womöglich in einer absoluten Mehrheit der ohne jegliche Regierungserfahrung vor sich hin stolpernde AfD führen könnte. Hier besteht Diskussionsbedarf, und zwar gewaltig, denn die Geschichte der Ausgrenzung der AfD hat diese immer größer und stärker gemacht. Beginnt man nicht endlich mit der Entzauberung dieser Partei unter klarer Definition von roten Linien, die unter keinen Umständen überschritten werden, machen sich ausgerechnet die, die sie verhindern wollen zu Steigbügelhaltern der Partei, die sie loswerden wollen. Glaubt denn irgendjemand wirklich an ein erfolgreiches AfD-Verbot in den kommenden vier Jahren? Wohl kaum, oder? Die gleichen roten Linien an anderen Orten sind gegenüber allen Parteien zu ziehen. Es gilt zu bestimmen, was man will, darin kann man zusammenarbeiten und was man nicht will, da verläuft die rote Linie. Die alte CDU-Vorgehensweise, wir stellen den Kanzler, der Koalitionspartner macht die Politik, wird nicht mehr funktionieren. Ein Essay mit einem solchen kritischen Blick auf die kommende Legislaturperiode, bei der schon jetzt zu erkennen ist, dass die CDU in Geiselhaft von SPD und Grünen ist, muss als Debattenbeitrag möglich sein.

Kritik an der Regierung, Kritik an der Opposition muss in einer Demokratie sein, will diese nicht zu einer Demokratur verkommen. Neu ist, dass Menschen, die so handeln – und zwar nicht in Zeitungs- oder Blogartikeln, sondern auf den Plattformen der sozialen Netzwerke – inzwischen mit Strafanzeigen, behördlichen Ermittlungen und Hausdurchsuchungen (auch) auf Veranlassung der kritisierten Personen rechnen müssen. Art. 5 GG gilt offensichtlich nicht in sogenannten sozialen Medien. Neu ist, dass eine erdrückende Mehrheit von Journalisten die Bereitschaft vermissen lässt, die Regierung zu kritisieren und damit die Menschen, die auf sozialen Medien – zum Teil unter Zurschaustellung schlechtester Manieren – Regierungskritik üben und deshalb strafrechtlich verfolgt werden, schlicht im Stich lassen. Das ist Verrat!

Jede Obrigkeit kommt von Gott – wie schlimm sind wir eigentlich?

Die Gefahr in sozialen Medien durch unbedachte Äußerungen zum Ziel strafrechtlicher Verfolgung zu werden, wird einen Rückzug aus den sozialen Medien in geschützte Räume zur Folge haben. Doch Achtung: Auch privat geglaubte Chats in den Netzen (WhatsApp, Telegram, Threema oder ähnliche können zumindest grundsätzlich mitgelesen werden. Meine eigene Aktivität in sozialen Medien beschränkt sich darauf, Inhalte zu teilen und gelegentlich einen sorgfältig abgewogenen Post auf X abzusetzen. Trotz aller Schärfe meiner Artikel und obwohl man mich wohl problemlos als rrrrrrrrrrrrächts framen könnte, bin ich mir sicher, wenn ich gut überdachte, gerne mit Chili gewürzte, Kommentare und Essays auf meinem eigenen Blog veröffentliche, zumindest derzeit noch vor (Straf-) Verfolgung sicher zu sein. Ein letzter Satz, der dann nun wieder eine absolute Wahrheit ist stammt von Paulus: „Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt.“ (Röm 13,1) Wenn das gilt, dann gilt auch, dass eine vom Volk gewählte nach den Regeln der Verfassung gebildete Regierung von Gott stammt, und wir haben ihr schuldigen (sic!) Gehorsam zu leisten. Wenn uns Gott nun diese und die nach der Wahl zu erwartenden Regierung zumutet, sollte uns auch das zu denken geben.