Berlin hat seine Hedwigskirche wieder eröffnet. Die Stimmen sind nicht etwa ein ausgewogenes Spektrum, sie sind entweder vernichtend oder begeistert. So spaltet ein Bau die Besucher und schreckt die Beter ab.
Am 24. November hat das Erzbistum Berlin seine Kathedrale neu eröffnet. Nach einem Architektenwettbewerb und dem zunächst folgenden jahrelangen, auch vor Gericht ausgetragenen, Streit wurden Fakten geschaffen. Noch unter Kardinal Woelki wurde die Sanierung angestoßen und der Wettbewerb ausgerufen. Der Siegerentwurf, der fast unverändert umgesetzt wurde, sah vor, die Innenraumgestaltung von Hans Schwippert zu zerstören und den Zugang zur Unterkirche (auch „Das Loch“ genannt) zu schließen.
Alles weiß und kalt
Entstanden ist eine zentrale Gestaltung. Der Raum ist ganz in Weiß gehalten. Er wirkt auf den Bildern nüchtern und kalt. Als Altar dient eine aus Beton und in einer Aktion gesammelten Steinen gegossene Halbkugel. Diese steht in der Mitte des Bauwerks und soll die Kuppel nach unten abrunden. Nun gut, wer die Halbkugel hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen:
Aha, die Limburger sind die ominöse Badewanne losgeworden. https://t.co/y6BGCpfzMA
— Peter Winnemöller (@Cicero_PW) November 24, 2024
Um den Altar herum steht ein Stuhlkreis in mehreren Reihen. Einer der Stühle hat ein rotes Polster und soll die Kathedra, der Lehrstuhl des Bischofs sein. Ein Zettel auf dem Stuhl weist darauf hin, man möge sich nicht auf diesen Stuhl setzen. Allein die Existenz und die offensichtliche Notwendigkeit dieses Zettels zeigt die Unsinnigkeit an. Entweder der Erzbischof ist auf Augenhöhe und einer von uns oder er bekommt einen Stuhl als Lehrstuhl auf den man sich – gute Erziehung vorausgesetzt – aus eigener Motivation nicht setzt. Ob ich widerstehen könnte… aber lassen wir das. Eine Beschreibung aus der Ferne ist immer auf Bilder angewiesen, die nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit darstellen. Darum bleibt vieles aus zweiter Hand und im Konjunktiv. Doch der nächste Besuch in Berlin kommt bestimmt. Dann folgt ein Bericht aus erster Hand.
Harte Urteile
Besucher der Kirche, die sich im Netz äußerten, fällten in den letzten Tagen deutliche und harte Urteile. Man könne in dem Raum nicht beten. Der Tabernakel ist zwar im Kirchenraum aber wie soll man sich auf den Tabernakel orientieren, wenn er außerhalb des Stuhlkreises steht. Das Ewige Licht sei nur schwer zu finden hört man. Die Akustik wird als schlimm beschrieben, einige meinen schlimmer noch als vorher. Die weiße Atmosphäre macht den Raum kalt. Sakrale Kunst fehle fast vollständig. Keine Kerzen und kein Kreuz auf dem Altar. Weil alle Stühle auf derselbe Höhe stehen, wie der Altar, werde den in den hinteren Reihen sitzenden Gläubigen die Participatio actuosa unmöglich gemacht. Das sind nur einige der Stimmen.
Auf den Bildern wirkt der Raum wie ein ultramoderner Versammlungsraum für beliebige Zwecke. Protestanten spotten, weil die großen evangelischen Kirchen in Berlin katholischer aussehen als die katholische Kathedrale. Spiegelgleich sind die Jubelorgien der Bewunderer der neuen Kathedrale. Man redet von Erhabenheit, von beeindruckender Ästhetik, von einem Raum der Versammlung auf Augenhöhe und vieles andere mehr.
Die Kathedrale spaltet
Mittlere Stimmen gibt es nicht. Auch die Kritik an den Andersdenkenden ist hart und unbarmherzig. Die neue Kathedrale spaltet. Ein Raum des Gebets wird sie schon deshalb vorerst und für lange Zeit nicht sein, weil jeder Berlinbesucher sie sehen wollen wird. Schon jetzt hört man, der Lärm der Besucher in der Kathedrale sei unerträglich. Die weiße Innenraumgestaltung schreit förmlich nach Graffiti. Bleibt zu hoffen, dass immer genug Sicherheitskräfte anwesend sind. (Sollte Banksy kommen, bitte wegsehen, der könnte den Raum aufwerten.) In normalen katholischen Kirchen betritt man den Altarraum nicht. Im Berliner Circus (von grch. κίρκος = Kreis) hält nichts davon ab, gemütlich zum Altar und drumherum zu schlendern und auch mal die glatte Halbkugel zu befingern. Auch die Kathedra ist wie oben erwähnt leicht zu erreichen. Folglich wird es nur eine Frage der Zeit sein, wann ein mehr oder weniger geschmackvolles Trassierband den Raum in Go- und No-Go-Bereiche trennt.
Natürlich lässt sich aus der Ferne schlecht über einen Raumeindruck schreiben. Spontane Erinnerungen an die Leipziger Propstei-Kirche, die wie ein postmodernes maximal unterkühltes Liturgietheater gebaut ist, drängen sich auf. Auch dort herrscht eine unkatholische Kälte und eisige Gebetsverhinderungsatmosphäre. Eine Heilige Messe, die ich dort einmal (und nie wieder) erleben durfte, beobachtete ich – mea culpa – ohne jegliche Participatio actuosa vom 1. Rang aus. Die Sicht war bescheiden. Den Tabernakel entdeckte ich zufällig beim Hinausgehen nach der Messe.
Es ist sprechend, dass wir auch im Bereich der Architektur offensichtlich nicht mehr über eine funktionierende liturgische Formsprache verfügen. Der Begriff „Schön“ spielt dabei eine sehr große Rolle. Da das Schöne zugleich das Gute und das Wahre ist, besteht in Abwesenheit von Schönheit die Gefahr auch das Wahre und das Gute zu verlieren. Ja mehr noch, in einer Zeit, in der man schon die Existenz einer objektiven Wahrheit bestreitet, mit das Gute relativiert auf jemand oder etwas hin, kann das Schöne nicht mehr ein Recht auf Existenz geltend machen.
Das ist nicht schön
Es ist kaum anzunehmen, dass jemand die Berliner Kathedrale als schön bezeichnet. Allein Kälte und weißgetünchte Nüchternheit verbieten dies. Mag der eine oder andere die Gestaltung des Innenraumes für ästhetisch ansprechend halten, Schönheit wird man schwerlich in der Kälte und Nüchternheit finden können. Dass ein reinweißer Raum eine ganz eigene Ästhetik hat, die zu beeindrucken, wenn nicht gar zu erdrücken versteht, wird niemand bestreiten. Ein Vergleich mit dem Barock drängt sich geradezu auf. Hier – im Barock – wird ganz dezent der Vorhang zur Seite gezogen und der irdischen Mensch darf das überirdisch himmlische schauen. Es ergibt eine wirklich nur schwache Ahnung was den Menschen in der Unendlichkeit des Reiches der Himmel erwartet, wie es der Herr uns verheißen hat. Weiß spielt im Barock eine große Rolle, denn alles, was nicht bunt und farbenfroh ausgemalt ist, wird weiß umrahmt und umwölkt. Weiß sind (meistens) auch die Putten, ohne die weder Himmel noch Erde funktionieren oder auch nur zusammenhalten würden. Die Berliner Kathedrale zieht den weißen Vorhang gleich vor alles. Nichts dringt mehr durch, Schönheit darf nicht sein. Schlichtheit übt ihr karges und strenges Regiment.
Diese Kathedrale ist liturgisches „Null overt Hand“, wenn diese Anleihe beim Skatspiel hier einmal erlaubt sei. Gewonnen wird mit nichts, gereizt wird hoch mit calvinistischer Kälte und der Bube ist eingereiht.
Das Erzbistum Berlin wird mit dieser Kathedrale leben müssen. Die deutsche Hauptstadt, besser gesagt das deutsche Hauptstadtbistum, schickt diese Kathedrale ins Rennen gegen die gerade wieder eröffnete Notre Dame in Paris und andere Kathedralen in europäischen Hauptstädten. Diese Kirche ist damit eben auch ein Statement, wie der Zustand der katholischen Kirche in Deutschland insgesamt ist.