Mit der sonderbaren Idee, Fahne, Hymne und Verfassung neu zu überdenken, hat sich Bodo Ramelow versucht ins Rampenlicht zu drängen. In der Tat ist deutscher Nationalstolz so eine Sache. Der Boomer fremdelt und ein junger Mann weist den Weg.

Eines muss man vorweg sagen, Apollo News und besonders die Texte des Chefredakteurs Max Mannhart lese ich recht gerne. Das ist frischer, junger und engagierter Journalismus ohne Angst vor den Fürstenthronen unserer Tage. Man bekommt einen anderen Blick auf die Dinge und das ist immer eine gute Idee. Man sollte immer in die Breite lesen, niemals denken, man könne sich seine fertige Meinung im orangen Rahmen am Kiosk kaufen. So hat mich der das Editorial „Kämpfen für Deutschland“ zu diesem Beitrag herausgefordert.
Mein Tweet dazu:
Was wir Mannhart zu Folge brauchen, ist:
„Ein kämpferischer Patriotismus auf dem Boden der Geschichte ist das Gebot der Stunde.“
Es lohnt sich wirklich, diesen Artikel zu lesen, denn er zeigt eine junge patriotische Replik auf Ramelows ältlich daher kommende Forderung, Grundgesetz, Fahne und Nationalhymne einmal grundsätzlich in Frage zu stellen. Will man wirklich wissen, was sich ein im Westen geborenes Mitglied der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ darunter vorstellt? Nein, besser nicht. Wenn ich mich gepflegt gruseln will, gehe ich lieber in die Neuverfilmung von Frankenstein.
Peinliche Fahne
Doch wem ist der Gedanke an die Fahne und die Hymne und deren Peinlichkeit der ersten und zweiten Strophe nicht schon einmal gekommen? Die Fahne ist ein heraldisch schlampig zusammen genähtes Tuch, das 1848 bei der unsäglich erfolgreichen Revolution von Studenten zum Hambacher Schloss getragen wurde. Na, danke. Nach 1848 folgte eine Restauration und jede Menge kriegerisches Preußentum, was 1871 in einer kleindeutschen Lösung endete und einen deutschen Nationalstaat von Preußens Gnaden im französischen Versailles gebar. Dass man damit auch gleich eine Erbfeindschaft pflegte und erneuerte mag hier nur eine Fußnote sein.
Die Fahne dieser zusammengeschusterten „Nation“ war übrigens mit Schwarz-Weiß-Rot die Fahne des Norddeutschen Bundes. Preußische Dominanz im Reich mit solch amüsanten Folgen wie dem antikatholischen Kulturkampf machte es zahlreichen Regionen schwer, sich mit diesem künstlich durch preußische Eroberungskriege geschaffenen Staat anzufreunden. Das ist eine nicht zu unterschätzende Wurzel des deutschen Mangels an Nationalstolz. Wenn man diesen untersuchen will, gilt es nicht bis 1948 zurück zu gehen, wie es Mannhart im obigen Artikel tut, sondern es wäre mindestens weitere 100 Jahre (eher mehr) zurück zu blicken.
Was ist dieses Deutschland?
Man kommt dann schnell auf diese Frage: Was bitte soll es denn sein, dieses „Deutschland“? Deutsch, das war dem Grunde nach ein Attribut, dass die Völker diesseits (teutsch) und jenseits (welsch) des Rheins voneinander unterscheidbar machte. Nicht mehr und nicht weniger. Eine „deutsche Nation“ gab es nie. Westfalen, Rheinländer, Preußen, Bayern, Schwaben, Badenser, Sachsen, Thüringer, Friesen, Holsteiner – wie soll denn das zusammen gehen?
Unter Ausschluss zahlreicher eigentlich ebenfalls deutscher Regionen wurde von Bismarck unter Beobachtung preußischer Machtinteressen und in Folge etlicher Kriege allein unter Machtgesichtspunkten ein neues Reich geschmiedet. Dass der Bruch von Völkerrecht keine Erfindung der deutschen Kanzlerin Merkel war, sondern schon von Kanzler Bismarck auf dem Weg zur deutschen Einigung betrieben wurde, ist hier nur eine Fußnote. Schleswig und Holstein zeitweise zu trennen, war reine Machtpolitik. Die Westfalen und die Rheinländer waren von Preußen unterworfen. Württemberger, Badenser, Bayern und Sachsen fügten sich in die Notwendigkeit, dass die Kleinstaaterei in einem Europa der Nationen nicht mehr haltbar ist. Das mag als Parforceritt durch die Geschichte der deutschen „Einigung“ reichen.
Bismarcks Machtpolitik verhalf Deutschland dann in der Tat zu einer temporären Blüte, einer Zeit, die wir Gründerzeit oder Biedermeier nennen. Spätestens 1914 zeigten sich die Folgen von Bismarcks Fehlkonstruktion, deren Erfolg nur durch seine komplexe Bündnispolitik aufrecht erhalten werden konnte. Die Fehlkonstruktion „Deutsches Reich“ stürzte Europa und die Welt in kurzer Zeit in zwei Kriege. In den ersten ist man „so reingeschliddert“, wie es der letzte preußische König einmal so schön formulierte. (Deutscher Kaiser vergessen wir mal bitte, das ist eher peinlich, was Bismarck da konstruiert hatte.) Der zweite große Krieg war die Folge eines in der Wurzel kranken deutschen Nationalismus, der ein leibliches Kind des fehlenden gesunden deutschen Nationalbewusstseins war.
Gesundes Nationalbewusstsein
Liest man, dieser Einschub sei hier erlaubt, den Artikel von Mannhart mit diesen Augen, dann stellt man schnell fest, warum der Artikel so klug ist. Mannhart fordert nämlich genau das: einen gesundes deutsches Nationalbewusstsein. Daas schließt alles Licht und allen Schatten der Geschichte ein. Gäbe es dies, wäre das ohne jeden Zweifel der beste Schutz vor einem unbotmäßigen Nationalismus. Doch dazu später mehr.
Schaut man sich nun das Postulat von Ramelow an, dann will dieser nicht nur der Fahne (über die man durchaus diskutieren kann) und der Hymne, dazu kommen wir gleich, sondern auch noch dem Grundgesetz zu Leibe rücken. Und da werde ich empfindlich! In der Tat stand im Grundgesetz der alten Bundesrepublik der Auftrag, dass sich das wiedervereinigte Deutschland in Freiheit eine Verfassung geben solle. Diese Verfassung haben wir, es ist – bei allen Makeln – das Grundgesetz und es ist – bei allen Makeln – eine gute Verfassung. Leider ist sie – nicht nur von Ramelow – derzeit massiv unter Beschuss. Die Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegen den übermächtigen Staat würde man derzeit nur zu gerne zu einem Einfallstor für staatliche Maßnahmen umbauen, indem man die Rechte so interpretiert, dass ein fürsorglicher Staat dem Bürger die Rechte gewährt oder – natürlich nur zu seinem Besten – temporär oder dauerhaft entzieht. Wehret den Anfängen! Es ist kaum anzunehmen, dass Ramelow nicht genau dies im Schilde führt.
Diese Hymne!
Rolle Rückwärts zur Hymne. Es gibt viel Gutes, was man über August Heinrich Hoffmann von Fallersleben sagen kann. Seine antipreußische Gesinnung gehört sicher ebenso dazu, wie seine beeindruckende Tätigkeit für die Bibliothek von Corvey. Auf dem Friedhof der ehemaligen Reichsabtei findet sich sein Grab. Als Mitglied einer Burschenschaft war er ein liberaler Träumer. Und so träumt er in seinem Lied der Deutschen, auf dem damals nicht deutschen Helgoland gedichtet und von Haydn vertont, von einem „Deutschland über alles“, welchem der Poet Ausmaße verleiht, die nie ein deutscher Staat hatte erringen können. Bis heute nicht! Von der Maas bis an die Memel, von dem Etsch bis an den Belt. Da schreibt nicht ein blutrünstiger Kriegstreiber, sondern ein nationalliberaler Träumer und Romantiker. Spätestens in der zweiten Strophe, in der er deutsche Frauen und deutschen Wein preist, wird das Opus für einen postmodernen Rezipienten schlicht albern. Bleiben wir etwas albern, denn da der Knabe das edle deutsche Bier sträflich ignoriert hat er Bursche den Bierverschiss mehr als verdient. So!
In der dritten Strophe wird es romantisch-moralisch und man könnte mit Augenzwinkern sagen, damit hat dieses Deutschland die Hymne, die es verdient. Nein, Brechts Kinderhymne ist wahrlich keine Alternative. Wenn wir Hymen diskutieren, hören wir doch mal bei unseren Nachbarn rein. Da nun jegliche Dichtung spätestens zwei Generationen später peinlich und weitere drei Generationen später Kult sein kann, plädiere ich hinsichtlich der Hymne für Aushalten. Das tun Franzosen, Holländer und Engländer doch auf. Noch immer ist Polen nicht verloren. Dank Wilhelm von Oranien sind die Niederländer von deutschem Blut. Die USA sind „the Land of the free” unter einem “star spangled banner“? Müsste man die weltweiten Hymnen kurz charakterisieren, dann wäre das „Blut, Schmalz und Tränen“.
Also … Brüderlich mit Herz und Hand! OK?
Peinlich oder Nichtpeinlich
Blickt man also genug in die deutsche Geschichte zurück, dann sind zugegebenermaßen Hymne und Fahne schon irgendwie peinlich. Aber dem hat man sich zu stellen. Wo ist das denn nicht so? Deal with it! Das Grundgesetz ist ein Rechtskorpus, auf den wir, zumal niemand meiner und erst recht keiner noch späterer Generationen etwas dazu beigetragen hat, zu Recht stolz sein können. Diesen Rechtskorpus zu schützen und zu verteidigen ist allemal ein gutes Unterfangen. Aber reicht das für einen neuen Nationalstolz?
Und an diesem Punkt muss der Boomer einmal demütig zurücktreten.
Max Mannhart macht folgendes: Er setzt bei seinen Überlegungen im Jahr 1948 an. Nur drei Jahre nach der nationalsozialistischen Katastrophe hält der Sozialdemokrat Fritz Reuter die Mannhart zu Folge „größte Rede der Bundesrepublik“. Reuter formuliert nicht einen fertigen Patriotismus, der den Blick zurück auf eine großartige Geschichte wirft, sondern er fordert den Blick nach vorne und den Kampf um Deutschland als Auftrag für alle folgenden Generationen. Um das zu untermauern formuliert es Mannhart so:
„Es war dieses Deutschland, das sich nach dem Krieg zurück arbeitete ins Wirtschaftswunder, das sich aussöhnte mit den Juden und zurückfand in die westliche Gemeinschaft, für die Deutschland immer unverzichtbar war. Es machte die Verheißung Ernst Reuters wahr. Es waren große deutsche Kämpfer, die die Wiedervereinigung gegen auch damals vorherrschenden Defätismus erkämpften: Konrad Adenauer, Axel Springer, Helmut Schmidt mit der Initiierung des NATO-Doppelbeschlusses, Helmut Kohl und die tausenden Ostdeutschen, die erst beim Volksaufstand, dann bei der friedlichen Revolution ihr Leben aufs Spiel setzten für die Freiheit. Sie alle waren deutsche Helden.“
Und daraus schließt er mit einer der beeindruckendsten Definitionen, was denn ein deutscher Patriotismus sein könnte: „Kämpfen für Deutschland“. Dieses Land mit seiner bewegten und teilweise peinlichen Geschichte hat es geschafft, sich nach der größten aller Katastrophen in seiner Vergangenheit zu einem der großen Player in der Welt aufzuschwingen. Als in den frühen 60er geborene sind wir mit der vollen Breitseite der Ambivalenz unseres Landes, seine wechselhafte Geschichte einerseits und seine großartige Gegenwart im Kontext der freien westlichen Welt aufgewachsen. Nationalstolz war nicht unser Thema. Heute müssen wir neu lernen. Es geht gar nicht primär um Stolz. Es war und es ist noch immer und wird es bleiben ein Kampf für (na und da sind wir wieder bei der Hymne):
Einigkeit und Recht und Freiheit.
Doch ein Prophet?
War Hoffmann von Fallersleben, dieser lausige Träumer, am Ende vielleicht doch viel prophetischer als er selbst dachte? Vielleicht gibt es noch viel dazu zu sagen und zu denken. Die Deutschen sind eben, so sie denn ein Volks sind, das Volk der Dichter und Denker. Doch eines lässt sich sagen, wenn es jemals eine gute Definition für einen deutschen Patriotismus gab, dann ist es das, was in vielen Generationen Männer und Frauen getan haben, sie haben den guten Kampf gekämpft für die Freiheit, die Einheit und das Recht in Deutschland.
Wenn das Patriotismus ist, dann war ich schon immer Patriot und will auch fürderhin gerne ein Patriot sein.
