Der Great Reset als maximale Verschwörung? Da kann man schon mal verstimmt sein, wenn man zu allem Überfluss mit sowas in Verbindung gebracht wird. Ein kleiner Rant.
Symbolbild Wut — Bild von Vladimír Sládek auf Pixabay

Wut ist immer eine gute Triebfeder und wütend macht es mich, wenn so offensichtliche Unvernunft in multipler Weise aufeinandertreffen. Äußerer Anlass ist eine Reihe von Artikeln und eine Sendung im WDR, die ein Webprojekt betreffen, das ich technisch betreue. Es handelt sich um die Internetseite eines Priesterkreises, die im Großen und Ganzen gute, sinnvolle, teils kluge und geistreiche Beiträge, nicht zuletzt auch von renommierten Gastautoren, enthält.

Debatte ist wichtig

Nicht alle Beiträge finden meine Zustimmung, das müssen sie auch nicht. Ich habe nicht einmal alle Beiträge gelesen, bei vielen bin ich gar nicht Zielgruppe, andere interessieren mich einfach nicht. Einer der Artikel befasst sich mit der – durchaus auch von mir abgelehnten und inzwischen obsoleten – Impfpflicht. Leider macht sich der Autor des Beitrages, den ich hier bewusst nicht verlinke, weil ich Verschwörungstheorien nicht verbreiten möchte, im Eingang die These zu eigen, die Covid-19-Pandemie entspreche dem freimaurerischen Plan der Neuen Weltordnung und werde als Instrument des „Great Reset“ verwendet. In der Folge geht es darum, dass deswegen die Bildung einer Weltregierung folgen müsse und das ganze sei von langer Hand geplant. Als Beweis dient ein Planspiel der Rockefeller – Stiftung aus dem Jahr 2010. So weit in die Zukunft möchte ich auch mal schauen können …
Anmerkungen dazu folgen weiter unten. Danach widmet sich der Artikel der Auswertung von Studien, die dem Autor zu Folge gegen eine Impfpflicht sprechen. In der Tat kann man, blendet man die Einleitung aus, ab da von einem Debattenbeitrag in der Diskussion um eine, zur Zeit der Veröffentlichung, noch in der Diskussion befindlichen Impfpflicht reden. Ob alle Studien sach- und fachgerecht interpretiert sind, müsste ein Fachmann untersuchen, hier würde es den Rahmen sprengen, dazu auch noch Stimmen einzuholen, die das einordnen können.

Die berühmten fünfzehn Minuten

Allein die Einleitung reichte aus, die üblichen Verdächtigen auf den Plan zu rufen und der Nischenseite eines Priesterkreises zur Ehre eines WDR- Beitrages zu verhelfen. Die Kritik des WDR ist in etwa so sachgerecht, wie die Verschwörungstheorie des Autors. Angeblich ist so etwas antisemitisch anschlussfähig, so der WDR. Das Sahnehäubchen sind zwei ältere Herren, die ihrer Empörung freien Lauf lassen dürfen und bekunden, hier nicht mehr zu Kirche zu gehen, solange der Autor hier noch Messen feiern. Man kann die beiden Herren trösten: Der Autor feiert seit zwei Jahren schon keine öffentlichen Messen mehr, wie der Webseite des Pastoralverbundes zu entnehmen ist, wo er tätig ist. In Folge des WDR – Beitrages sprangen viele Lokalzeitungen der Region auf und witterten den Skandal. Skandalisiert wurde natürlich vor allem die authentische katholische Lehre, die zahlreiche Beiträge vertreten und erklären. Unnötig zu erwähnen, dass so etwas gerade ein wenig lästig ist. Wie soll man – diese Frage meine ich sehr ernst – jemandem, der das kleine Einmaleins des katholischen Glaubens nicht beherrscht, den Inhalt von Beiträgen erklären, die für aktive gläubige Katholiken geschrieben sind. Fast, so denke ich, bräuchte es inzwischen für bestimmte Inhalte eine neue Art Arkandisziplin. Am Ende kam eine Lokalzeitung sogar dahinter, dass der Betreiber von katholon.de die Seite des Priesterkreises technisch betreut. Auch diesen Artikel in jener Lokalzeitung verlinke ich nicht, er befindet sich ohnehin hinter einer Paywall.

Es ist doppelt ärgerlich, mit so einer dämlichen Verschwörungstheorie in Verbindung gebracht zu werden, wenn man sich zudem selber zu umstrittenen Fragestellungen pointiert äußert. So warf mir der Autor des besagten Artikels vor, im Zusammenhang mit der Coronapolitik von „Panikpropaganda“ gesprochen zu haben. Kritik an der Kommunikation der Bundes- und Landesregierungen zu üben ist hingegen weder verboten noch ehrenrührig. Es war zu erkennen, dass hier maximal die Überschrift und die Unterzeile gelesen wurde. Dass man sich auch nur einen rudimentären Überblick über meine Publikationen verschafft haben könnte, ist natürlich nicht anzunehmen. Wie auch immer, ein solcher Artikel an dem Ort an dem man unter anderem lebt, ist ein lästiges Ärgernis, wenn er nicht umfassend und fair ist. Dieser katholische Journalist lehnt doch glatt den synodalen Weg ab. Boah! Sed contra: Ich war begeistert von dem wirklich ausgewogenen Statement meines Wohnortpfarrers. Chapeau!

Was eine Verschwörungstheorie im Innersten ist

Bei allem Ärgernis trifft es sich sehr gut, dass es gerade in der aktuellen Ausgabe der Tagespost zwei exzellente Artikel zum Thema „Great Reset“ gibt, auf die hier verwiesen werden soll. Im Jahr 2020 veröffentlichte der Gründer des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab sein Buch „The Great Reset“ zu Deutsch: „Der große Umbruch“. Es ist müßig zu wiederholen, was andere schon getan haben. Klick 1 und Klick 2. Unter Klick 1 findet sich ein Artikel, der sich das Buch rezensiert und einordnet. Unter Klick 2 findet sich ein Interview mit Martin Ronheimer, der sich mit der im Buch vertretenen Theorie des „Stakeholder Kapitalismus“ befasst und diesen nach allen Regeln der wirtschaftswissenschaftlichen Kunst zerlegt.

Selten zuvor wurde ein Buch so schnell zur Verschwörungstheorie. Statt eines analytisch – essayistischen Werkes, das durchaus kritisch zu bewerten ist, wie Martin Ronheimer beweist, wurde es als Plan einer gedachten Weltelite gelesen, mittels der geplanten Pandemie die gesamte Weltwirtschaft umzubauen, um noch reicher und noch mächtiger zu werden. Wie jede Verschwörungstheorie ist diese in sich vollkommen widerspruchsfrei und zudem in der Lage jedes auftretende Phänomen ebenfalls widerspruchsfrei aus der Theorie zu erklären. Das ist ein Wesensmerkmal einer Verschwörungstheorie, wie das folgende augenzwinkernde Beispiel zeigen mag: Bis heute ist es nicht gelungen, die Existenz der ostwestfälischen Stadt Bielefeld nachzuweisen. Selbst engagierteste Fans des von IHNEN eigens gegründeten Fußballvereins „Arminia Bielefeld“ können sich nicht erinnern jemals in der angeblichen Stadt des Vereins gewesen zu sein. Mitten in der Pampa steht die sogenannte Alm (Schüco- Arena, der bekannte Fensterbauer ist also einen von IHNEN!), natürlich ist die Anreise per Bahn möglich, mitten im Nichts steht eine der beeindruckendsten Bahnhofskulissen. SIE haben alles im Griff und wenn wir in Deutschland Arbeitskräftemangel haben, dann deshalb, weil SIE inzwischen hunderttausende Bielefeld- Darsteller verpflichtet haben, die die Kulissen der Scheinstadt für Touristen zum Leben erwecken. Noch nie hat jemand einen „echten Bielefelder“ kennengelernt und wenn es einer behauptete zu sein, dann stimmt irgendwas nicht in der Biografie. Wer das alte Usenet kannte, kennt die Bielefeld – Verschwörung von 1994. Der Scherz von damals eignet sich bestens, das Funktionieren einer Verschwörungstheorie aufzuzeigen. Nehmen Sie ein Faktum rund im Bielefeld, es wird sich nahtlos in die Verschwörung einfügen. Die Bewohner dieser reizenden Stadt seien hier ausdrücklich um Entschuldigung gebeten, dass ihre Stadt mal wieder herhalten musste.

Widersprüche sind nicht vorgesehen

Exakt so funktioniert in der Tat auch die Great – Reset – Verschwörung. Dass sogar Hirten der katholischen Kirche auf sowas anspringen, zeigt ein Dokument von Erzbischof Vigano, der sich die These des Great Reset nicht nur zu eigen machte, sondern sogar auf die Kirche ausdehnte. In der Tat lässt sich nicht bestreiten, dass sich die Kirche in der Pandemie wahrhaftig nicht mit Ruhm bekleckert hat. Die Folgen zeigen sich in Gestalt von leeren Kirchenbänken auch nach weitreichendem Ende der Maßnahmen. Es zeigt sich aber auch, dass sich selbst eine überirdische Wirklichkeit, die die Kirche ist und der von ihrem göttlichen Stifter Bestand verheißen wurde, flugs im Zentrum einer großen Weltverschwörung wiederfindet. Man kann nicht bestreiten, dass der amtierende Papst es den Verschwörungstheoretikern leicht macht. Sogar Ronheimer muss im Interview mit der Tagespost zugeben, dass die Thesen des Great Reset mit der Soziallehre des Bergoglio- Pontifikats kompatibel sind. Ein Schelm, wer angesichts eines im Vatikan lebenden pensionierten Papstes arges denkt. Ist doch klar: Der musste(!) zurücktreten. Nicht vergessen: Verschwörungstheorien sind immer widerspruchsfrei. Es lässt sich jeder Sachverhalt problemlos integrieren.

Am Ende auch eine Verschwörungstheorie

Hätte der Autor jener Lokalzeitung, der mich als Mitverschwörungstheoretiker zu outen gedachte nur mal etwas mehr von mir gelesen, dann könnte er wissen, wie ich über Verschwörungstheorien denke. Ist womöglich das Weltbild dieses Lokaljournalisten auch völlig widerspruchsfrei? Am Ende fragt man sich, ob nicht auch der Autor jener Lokalzeitung versucht, sich selber eine Verschwörungstheorie zu basteln, in der erzkonservative Kleriker die Herrschaft über die Welt anstreben. Dazu bedienen sie sich der Hilfe eines – zugegeben äußerst begabten – katholischen Journalisten und Bloggers.
Das allerdings sieht der – ebenfalls aus Geseke stammende – Kardinal Marx sicher völlig anders:

Schlussbemerkung 1: Ohne Humor ist es gar nicht auszuhalten.

Schlussbemerkung 2: Leute, ICH K A N N S O N I C H T A R B E I T E N!