Ein Essay, warum man an der Kirchenpolitik auch dann nicht vorbei kommt, wenn man sie zu tiefst verabscheut.
Die Alternative wäre ein blauäugiges Zusehen, das auch keiner wollen kann.

Das Kompositum aus den Worten Kirche und Politik = Kirchenpolitik vermag mir, seit ich bewusst zum Glauben gefunden habe, stets einen gewissen Würgereiz auszulösen. Dennoch treibe ich seit rund zehn Jahren im öffentlichen Diskurs kaum etwas anderes. Seit geraumer Zeit schreibe ich auf dem katholischen Nachrichtenportal kath.net eine Kolumne unter dem Titel Montagskick. Darin geht es in den allermeisten Fällen zumindest auch um kirchenpolitische Streitfragen. Der Grund, warum mir Kirchenpolitk dem Grunde nach so zuwider ist und ich dennoch immer wieder damit zu kämpfen habe, liegt vor allem darin, dass ich in eine Kirche hineingestolpert bin, die zumindest zu Anfang meiner Zeit auf dem Weg des Glaubens ihrer selbst und ihres Glaubens sehr wohl noch deutlich mehr bewusst war. Bischöfe, die über Frauenweihe oder Aufhebung des Zölibat, über Änderung der Sexualmoral und so viele andere Dinge laut nachdenken, konnte man sich in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht vorstellen.

Schneller häretisch mit Band

Wie sehr der Eindruck einen heilen Kirche allerdings schon damals täuschte, nahm ich erst nach einer mehrere Jahre andauernden Schonfrist wahr. Es ist wirklich sagenhaft, wie einen die Anfangsgnade auf Wolke sieben schweben lassen kann. Hätte ich damals in der vollen Breite wahrgenommen, was ich später erkennen musste, wäre meine Bekehrung schlicht und ergreifend ausgefallen. Die Existenz von progressiven und konservativen Katholiken beispielsweise nahm ich erstmals wahr, als ich in einem katholischen Kolleg anfing, um dort mein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg zu machen. Interessanterweise war der Scheidepunkt, ob man in die „Bandmesse“ oder ins Choralamt geht.

An dem Punkt wurde die Sache für mich absurd und zudem noch peinlich. Ich ging in beide, weil man dort, wo ich herkam, auch dann rechtgläubig blieb, wenn die Kirchenmusik rhythmisch wurde. Gitarristen mit Vorliebe für rhythmische Lieder sangen selbstverständlich auch Choral, wenn es dran war. Liturgische Missbräuche habe ich tatsächlich in dieser Zeit, nach Eintritt ins Kolleg, überhaupt zum ersten Mal erlebt, und ich war schockiert darüber. Der Schock nahm ultimative Ausmaße an, als ich erlebte, wie ein Priester sein Hochgebet frei aus dem Kopf formulierte, die Gemeinde zum Mitsprechen der Wandlungsworte aufforderte und vieles andere mehr. In der Folgezeit durfte ich alles mögliche und unmögliche an liturgischen Wildsauereien genießen. In unendlicher Naivität machte ich zunächst das eine oder andere sogar mit, in der Hoffnung, mein Mitwirken könne schlimmeres verhindern. Diese Hoffnung war vergebens.

Die Lehre, die ich aus dem Erlebten primär zog, „Bandmessen“ sind eher problematisch als lateinische Choralämter. Wiewohl auch eine Übertreibung der Beachtung beziehungsweise Pedanterie liturgischer Vorschriften ein liturgisches Problem darstellen kann. Wenn der Winkel der erhobenen Hände bei der Oration zum Kriterium für Rechtgläubigkeit wird, dann geht etwas schief. Realistisch ist das wesentlich seltener als Häresien in dem, was man blödsinnigerweise bis heute „Jugendmessen“ nennt.

Das Konzil – DAS! Konzil

Ein weiterer Schritt auf dem Lebens- und Glaubensweg führte zur Vertiefung der Begegnung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und einem Derivat daraus, dem „Geist des Konzils“. Während das II. Vat. einfach erst einmal nichts anderes als eine Kirchenversammlung ohne den Anspruch dogmatische Festlegungen getroffen zu haben war, ist der „Geist des Konzils“ der brutalste Dogmatiker aller Zeiten. Das letzte Konzil hatte den Versuch unternommen, den Glauben der Kirche auf eine pastorale Weise in unsere Zeit hinein auszusagen. Der bestmögliche Modernismus ist es, nicht sich und seine Lehre an die Moderne anzubiedern, sondern mit dem, was man der Welt zu geben hat, in der Moderne einen authentischen Ausdruck zu finden. In diesem Sinne sah sich der Theologe Josef Ratzinger als Modernist, wie er später als Kardinal in einem der Interviewbücher mit Peter Seewald eingestand. In diesem Sinne hatte ich das Konzil selber zunächst wahrgenommen und seine Rezeption erlebt. Gleiches galt für die nachkonziliare Liturgie, die ich zunächst nur rite et recte kannte und die mir geistliche Heimat wurde.

Nicht das Konzil war das Problem der Kirche. Die Texte des Konzils sind sprachlich hölzern, kommen etwas gewollt und nicht gekonnt daher, weisen Unschärfen auf und schaffen es nicht den Glauben wirklich in die Moderne zu transportieren. Heute in der Postmoderne kommt uns die Sprache des Konzils noch viel mehr entsetzlich steif und ungelenk vor. Das Konzil trägt den Muff der Spießigkeit der Nachkriegsjahre. Nicht das ist das Problem. Ein Konzil findet immer in seiner Zeit statt. Es ist Aufgabe der Kirche, so ein Konzil zu rezipieren. Dazu braucht es den Blick auf die ganze Tradition der Kirche. Und hier kommt das kleine fiese Gespenst ins Spiel. „Der Geist des Konzils“ nämlich lehrt entgegen der Lehre alle Päpste, dass die Kirche erst in der Zeit von 1963 bis 1965 erfunden wurde. Alles vorher war „vorkonziliar“, was so ziemlich das schlimmste Schimpfwort überhaupt ist. Was Konzil ist, wird situativ und subjektiv bestimmt. Die Aufforderung die Texte zu lesen ist die größte Beleidigung überhaupt.

Gegen diesen „Geist des Konzils“, der immer zu vermitteln suchte, die Konzilväter hätten ja ganz anders gewollt, aber finstere Kräfte im Vatikan hätten es verhindert, stand die nachkonziliare Lehrentwicklung der Päpste Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Die Kollision verläuft tatsächlich entlang einer Linie derer, die sagen, die Päpste setzen das Konzil um, gegen die, die behaupten, die Päpste „drehen das Konzil zurück“.

Diese Kollisionslinie, die inzwischen längst das noch hohe Niveau der Konfrontation zwischen Texten des Konzils und dem „Geist des Konzils“ verlassen hat, ist inzwischen hinunter gestürzt auf eine Linie der vollkommenen Dekonstruktion des gesamten Glaubens der Kirche. „Der Geist des Konzils“, der eigentlich doch nur eine Abrißbirne ist, hat inzwischen Tarnkleidung angezogen und tritt auch schon mal in bischöflichen oder kardinalen Gewändern auf.

Reform weil Reform weil Reform

Die Reformwilligen reden schon gar nicht mehr vom Konzil. Sie verfolgen nur noch ihre Agenda, wollen den Zölibat abschaffen, Frauen zu Priesterinnen weihen, die Sexualmoral dem Zeitgeist anpassen und letztendlich die Macht in der Kirche übernehmen.

Und da sind wir dann endgültig – wieder – bei der Politik angekommen. Einen Anfangspunkt setzt eine historische Parallele. Die „Kölner Erklärung“ von 1989 setzte vor dreißig Jahren einen Anfangspunkt in Form eines Investiturstreits. Ähnlich wie zu Zeiten Heinrichs IV. sollten (kirchen-)politisch führende Laien die Bischöfe einsetzen und nicht der Papst. Auslöser war die Einsetzung von Kardinal Meisner in Köln durch Johannes Paul II., dem vorgeworfen wurde, gegen die Wahlordnung für Bischöfe verstoßen zu haben. Dieser damals entfachte Streit ist noch lange nicht zu Ende, auch wenn er derzeit in der öffentlichen Diskussion keine Rolle spielt. Die jüngst ernannten Bischöfe geben eher Anlass zur Sorge, weshalb die Verfechter der politischen Laieninvestitur derzeit eher still sind.

Die politisch steuerbare Kirche, die der Gesellschaft eine nützliche Moral liefert ist das Ziel. Die katholische Wirklichkeit ist eine hierarchische Kirche, die – auch in Fragen der Moral – der Wahrheit verpflichtet ist. Das ist der Kernkonflikt, den wir seit ungefähr Mitte der 60er Jahre austragen.

Politische Opportunität vs. Wahrheit

Der „Kölner Erklärung“ folgten zahlreiche Papiere dieser Art. Einen weiteren Höhepunkt stellte im Jahr 2011 das sogenannte „Memorandum“ dar. Unterzeichner waren die üblichen Verdächtigen, darunter auch Theologen, denen man nicht zugetraut hätte, solch einen populistischen Text zu unterschreiben.

Auslöser war damals schon die sogenannte „Missbrauchskrise“, die kirchenpolitisch interessierte Kreise für ihre wohlbekannten Ziele zu nutzen suchten. Gegen diese Memorandalierei, unterzeichneten rund 15000 Katholiken eine Petition, die die Bischöfe dringend bat, hier gegenzusteuern. Die Inhalte der Petition sind hier nachzulesen.

Die Antwort der Bischöfe war ein unscharfes, nie ausgesprochenes, aber am Ende deutlich wahrgenommenes „NEIN!“ Weder wurde die Ehe, noch wurden die Priester gestärkt. Vielmehr wurde in Folge von „Amoris laetitia“ die Unauflösligkeit der Ehe de facto dekonstruiert. Die Lebensform der Priester wird gerade in einem sogenannten „synodalen Weg“ von DBK und „ZdK“ mit dekonstruktiver Absicht hinterfragt. Das Ergebnis ist noch offen. Der Zustand von Theologie und Religionsunterricht, sowie der Sakramentenkatechese sind nach wie vor erbärmlich. Eine Änderung ist nicht in Sicht. Wer da an einem „Nein“ zu den Forderungen zur Petition pro Ecclesia zweifelt, macht sich Illusionen.

Die nützliche Kirche

Daraus resultiert nämlich genau der beschriebene Effekt, die Kirche wird von der Stiftung Jesu zur Verherrlichung Gottes und Führung der Menschen in die ewige Herrlichkeit Gottes zu einer politischen und menschlich nützlichen NGO dekonstruiert. Ein Indiz dafür ist das zahlreiche Engagement von Politikern aller Couleur im „ZdK“. So verliert am Ende das, was aus der Kirche gemacht wird seine Heilsrelevanz. Es ist dann eben nicht mehr die Kirche, sondern ein von Menschen gemachtes Derivat, das sich den Anstrich, die Kirche zu sein, geben will. Die Menschen aber merken die Irrelevanz dieser Konstruktion und gehen. Je mehr Menschen gehen, umso mehr wird versucht die Kirche anzupassen. Je mehr man die Kirche anpasst, umso mehr Menschen gehen. Die EKD ist ein brillantes Vorbild für diesen Prozess.

Im Prinzip ist das Ergebnis schon klar sichtbar. Im Grunde war es das für einige schon in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Wir stehen vor einer Spaltung der Kirche noch unbekannter Art. Von Schisma zu reden, ist deshalb verfehlt.

Dagegen ist der Kirche von ihrem göttlichen Stifter Bestand verheißen. Es wird also das, was sich abspaltet nicht die Kirche sein, resp. nicht mehr Teil der Kirche sein. Dennoch werden die Protagonisten, zu denen aller Voraussicht nach gültig geweihte und zum Zeitpunkt der Spaltung amtierende Bischöfe der Kirche gehören werden. Das Problem ist, dass das entstehende Gebilde zumindest grundsätzlich und zunächst einmal in apostolischer Sukzession steht und eigene Bischöfe hat. Das macht die Lage und die Unterscheidbarkeit nicht leichter. Äußerlich wird man das, was dort heranwächst, von der Kirche kaum unterscheiden können. Mithin stehen wir vor einer Zeit der großen Verwirrungen.

Klarheit und Wahrheit

Klarheit schaffen ist das Problem. Wer bloggt, reflektiert. Wer reflektiert verblödet nicht.

Klarheit finden, um sich orientieren zu können. Das schafft Luft für die Seele und hilft ertragen, weil der Glaube eben neben der Vernunft auch nicht ohne die Emotion auskommt.

An der Wahrheit festhalten, um nicht in die Irre zu gehen. Nur in der Klarheit ist die Wahrheit zu finden und zu halten.

Es gibt wirklich viel zu tun. Und es ist keinesfalls gesagt, dass der einzelne von uns so unbedingt richtig liegt. Darauf kommt es nicht an. Es geht ums grundsätzliche Festhalten an der Wahrheit. Das gerade ist der Charakter von Verwirrungen, dass sie an einem selber nicht spurlos vorbei gehen. Leichter werden wird es nicht. Und darum existiert keine Alternative zu einem – auch – kirchenpolitisch geführten Streit um die Wahrheit. Die Wahrheit – um nichts anderes geht es. Wo die Wahrheit ist, ist Christus, der uns gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ (Joh 14,6)

Wer die Wahrheit wissentlich und absichtlich verlässt, geht in den ewigen Tod. Darum ist es so wichtig, in der Suche nach und dem Streiten um die Wahrheit niemals nachzulassen.