Beim letzten Besuch von Papst Benedikt XVI. saß ich von Mittwoch, dem Tag vor seiner Ankunft bis Montag, dem Tag nach seiner Abreise von morgens bis abends am Schreibtisch. Als einer von fünf, das ist fast schon eine Borgbezeichnung, war ich an Facebookprojekt „Papst in Deutschland“ beteiligt. Damals hatte man eine Gruppe von haupt- und ehrenamtlichen Medienschaffenden zusammen gerufen, weil in der DBK zur damaligen Zeit das Knowhow für ein Socialmediaprojekt gar nicht vorhanden war. Heute gäbe es weder die Ehrenamtler die dazu bereit wären, noch würde die DBK so etwas in Hände geben, die sich nicht vorher gefesselt haben. Es war ein gutes Projekt, vielleicht weil es nicht wiederholbar war.
Meine ursprüngliche Absicht, dem Papst hinterher zu reisen, gab ich schnell auf. Das mobile Internet war noch lange nicht so weit, um das realisieren zu können. Daher entschied ich mich am Ende dazu, den Besuch vom heimischen Schreibtisch aus zu begleiten. Auch die zweite Wahl, nach Bonn ins Medienhaus zu fahren, um mit den beiden dort aktiven Kolleginnen im Medienhaus zu arbeiten, gab ich auf, weil ich nicht mein ganzes Computerzeugs mitnehmen wollte. Vier Bildschirme, ein Smartphone und ein Tablet, ein Festnetztelefon und eine unbekannte Menge Kaffee machten es möglich.
Viel Kaffee
Mitten in den Vorbereitungen an Montag vor der Ankunft kam man der Anruf. Mein Vater war in den frühen Morgenstunden gestorben. Die Arbeit unterbrechen und ab in die Heimat. Es waren 90 Min im Auto, in denen ich mich daran gewöhnen mußte keinen Vater auf der Erde mehr zu haben. Eine Beerdigung war zu planen. Mechanisch wurde das abgearbeitet und dann zurück an den Schreibtisch. Ab Dienstag wieder Vorarbeiten für den Besuch leisten. Es war eine willkommene Ablenkung.
Von der Ankunft am Donnerstag in Berlin bis zur berühmten Konzerthausrede und der Verabschiedung auf dem Flughafen hatte ich den Papst tagelang beinahe lebensgroß auf dem Bildschirm. Während der Wege zwischen den Stationen oder der Pausen war Zeit, zu schreiben, Bilder auszuwerten und hochzuladen. Spätestens da waren wir alle froh, dass einer von fünf am heimischen PC mit fettem Internet saß. Das Medienhaus der katholischen Kirche in Bonn war teilweise vom Netzzugang abgeschnitten, da die Fotografen die Bilder für kna hochladen mussten. So war ich zeitweise der einzige im Team, der Netzzugang hatte.
Ein Dialog, ein Dialog …
Schon damals tobte der Konflikt um die angebliche Modernisiere der Kirche in Deutschland. Erzbischof Zollitsch hatte gerade den, wie wir heute wissen, völlig frucht- und ergebnislosen Dialog vom Zaun gebrochen. Der Papst erwähnte damals den Dialog weder damals noch irgendwann später auch nur mit einem Wort. Kaum zu sagen, dass heute kaum jemand vom damaligen Prozess spricht. Die Stationen der Reise waren damals Berlin, Erfurt, das Eichsfeld und Freiburg. In prophetischer Rede legte Papst Benedikt XVI. der Kirche „Entweltlichung“ nahe. Wir sind heute mitten in der Coronakrise nahe an der Erfüllung dieser Prophetie. Abschied vom Papst. Schlafen, einen Tag für die Nachbereitung. Und am Dienstag mit Beginn des Arbeitstages ein Gefühl wie nach dem Abitur. Was gibt es jetzt zu tun. Nicht viel. Zeit nachklingen zu lassen.
Rund achteinhalb Jahre später ist der Papst erneut in Deutschland. Er ist 92 Jahre alt, emeritiert und kommt als alter, gebrechlicher Mann in seine Heimat, um seinen schwerkranken Bruder zu besuchen. Nun ist alles anders als 2011. Veröffentlichten und interpretierten wir damals jedes Wort von Papst Benedikt XVI., kommentierten wir jede Geste, so müssen wir nun akzeptieren, dass der Papst in der Öffentlichkeit schweigt. Ein alter Mann in weiß wird mit seinem Rollstuhl im Malteserauto zu seinem Bruder gefahren, der bettlägerig in seinem Haus auf ihn wartet. Der Papst und sein Bruder reden und beten und verweilen miteinander. Der Mozart der Theologie hat seine Kompositionen geschrieben.
Ein stiller Besuch
Wieder folge ich den Papst. Diesmal eher schreibend und behutsam auf Abstand bedacht. Es gibt keine bewegenden Videos, keine missionarischen Ansprachen, keine Messen in Stadien. Es gibt nur respektvolles Abstandhalten. Er ist, was es nicht gibt, ein emeritierter Papst. Er ist, was er nicht sein kann, ein Privatmann. Und so lauscht ihm diesmal ein kleiner Kreis, der ihm persönlich begegnen darf. Geradezu rührend kümmert man sich im Bistum Regensburg um den Papa emeritus.
Diesmal hört ihm öffentlich keiner zu, ganz offen. Vor neun Jahren hat ihm auch schon keiner zugehört, ganz verstohlen. Vielleicht wäre vieles anders, hätte man seine Worte gehört. Wer will es wissen?
Es wird diskutiert, ob nun die Agenturbilder zeigen darf. Man darf! Der Papst hat, so sagte es Bischof Voderholzer beim Abschlussstatement nach dem Besuch, akzeptiert, dass man ihn nicht ganz verstecken kann. Doch was zeigen die Bilder?
Sie zeigen einen alten Mann in weiß mit ein wenig verrutschtem Pileolus. Einen alten Mann, der lächelt, zeigen sie. Er lächelt nicht nur, sein Gesicht, seine Haltung zeigen einen fröhlichen, glückliche Mann, der erkennbar ein hohes Alter hat und gebrechlich ist. Für alle Vollzüge des täglichen Lebens ist Papst em. Benedikt XVI. auf Hilfe angewiesen. Demütig trägt er dies und nimmt doch am Leben teil, er begibt sich sogar auf Reisen. Weder ist er entstellt, noch ist er entwürdigt, noch kompromittiert auf den Bildern. Noch eines sehe ich in seinem Gesicht: Der Heilige Vater ist im Frieden.
Ich selber habe in der Redaktion dafür gestimmt, dieses eine Bild zu veröffentlichen, denn weder das Alter noch Gebrechlichkeit noch die Freude, die Heimat im Alter noch einmal zu sehen, sind eine Schande. In einer Zeit, in der unser höchstes Gericht im Land erlaubt, alte Menschen zu suizidieren, gibt es nicht zu viele, sondern zu wenige Fotos von Alten. Statt Paparazzi hätte man vielleicht doch ein offizielles Foto veröffentlichen können. Denn auch das ist wahr, besser ist es selber die Hoheit über das veröffentlichte Bild zu haben.
Ciao, Papa!
Nun ist er wieder in Rom. Ciao, Papa! Es macht noch immer traurig, wie distanziert nicht nur unser Land, sondern auch die Kirche in Deutschland dem deutschen Papst gegenüberstehen. Das schmallippige Willkommen aus Limburg und Bonn war fast peinlich. Der Gruß vom ständigen Rat war so lala und wirkte doch wie ein „gut, dass er wieder weg ist“. Die Berichterstattung in den Medien war unterkühlt wie üblich. Sie lieben ihn nicht. Und wir? Ein Land in der Hand der Coronakrise, sonst gäbe es vielleicht ein paar Pilger. Auch der private Papst ist der Papst. Dieser Besuch zeigt ein paar wirklich große Wahrheiten. Zwei Brüder, die sich herzlich verbunden sind. Ein Volk, dass einem seiner größten Söhne mit herzloser Kälte begegnet. Eine Kirche, die nicht mehr systemrelevant ist. Sie ist nahe dran entweltlicht zu sein.
Da der Papst diesmal diesem Land den Rücken gekehrt hat, ist er wohl für immer fort aus diesem Land.
Was bleibt?
Erneut bleibt das Gefühl einer sagenhaft verpassten Chance. Als ein Pole Papst war, löste Polen einen Prozess aus, der die Welt veränderte. Als ein Deutscher Papst war, als der Mozart der Theologie auf dem Stuhl Petri saß, da erging sich Deutschland in arroganter Verachtung über diesen großen Sohn seines Landes. Diese Verachtung löst sich jetzt so auf, dass ein Land teilnahmslos zuschaut, wie zwei greise Priester einander auf dem Weg in den Himmel begleiten. Haben sie ihn damals nicht verstanden, verstehen sie ihn heute erst recht nicht. Damals vor neun Jahren hat es ihn bekümmert. Heute scheint es ihn nicht mehr zu stören. Seine Zukunft liegt bei Gott und das war das Motto des Papstbesuches: Wo Gott ist, da ist Zukunft. Die beiden alten Männer die einander in Regensburg begegneten wissen das. Haben sie den Frieden?
Wünschen wir es ihnen und wünschen wir es uns.
Eines Tages werden wir keinen deutschen Papst mehr in Rom haben.
Ciao, Papa!