Demokratie und „UnsereDemokratie“ sind so verschieden, wie die Christdemokratie und die heutige CDU. Alte Sicherheiten sind verloren, Neuorientierung ohne sich zu verlieren ist keineswegs trivial. Versuch einer Positionsbestimmung, wie Christdemokratie heute gehen kann.

Wir leben in einer Zeit, in der die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch „UnsereDemokatie“, ein prätotalitäres Systembündel aus staatlichen Maßnahmen und der Flankierung durch staatsfinanzierte NGOs, heftig unter Druck gerät. Das Aussetzen von Grundrechten oder deren Relativierung zu Gunsten erfundener Rechte und Pflichten sowie neuartiger Toleranzen entwickelt eine Scheinevidenz, die wie ein gesellschaftspolitisches Anästhetikum wirkt. Grundrechte sind in dieser Wirklichkeit nicht mehr Abwehrrechte gegen den übermächtigen Staat sondern Gnadenerweise der Elite für das Wohlverhalten der Bürger.
Nur mühsam als Nachrichten getarnte ideologiegeschwängerte Erklärwolken aus öffentlich-rechtlichen Medienkanälen lullen den Shitbürger immer tiefer in den wohlgelittenen woken Schlaf der Entrechtung. Wo lassen Sie denken?
Bitte immer selbst denken
Da sticht der NIUS- Chefkommentator Alexander Kissler mitten in einen eingeschlafenen Wespenhaufen, wenn er fordert, nur selber denken mache schlau. Das muss unterbunden werden. Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen. Das Denken erledigt die Regierung für Sie. Glauben Sie den Nachrichten und glauben Sie der Regierung und den Behörden. Tun Sie, was man Ihnen sagt, halten Sie Abstand und tragen Sie Ihre Mas… oh, Pardon…, da sind wir ja noch nicht wieder.
Sieht man mit dem Zweiten wirklich besser?
Wer im vergangenen Jahrhundert in den 50er oder 60er Jahren geboren wurde und das Glück hatte, im westlichen Teil unseres Landes aufzuwachsen, findet kaum einen Ansatzpunkt, um das Unbehagen festzumachen. Das Grundgesetz, diese grandiose Garantie für Recht und Freiheit, es gilt doch noch. Oder nicht? Im Jahr 2020 war die Erschütterung groß, als auf einmal alle, wirklich alle Grundrechte außer Kraft waren. Angeblich sind die nicht veränderbar. Doch plötzlich durfte man nicht mehr auf einer Parkbank sitzen, sich nicht mehr treffen, nicht mehr arbeiten, in die Kneipe oder die Kirche gehen. Denken, gar querdenken wurde zum Risiko. Mehr noch, plötzlich war es gefährlich, Kritik an der Regierung zu üben. Menschen verloren ihren Job oder wurden damit bedroht, wenn sie kritisch waren. Die Pandemie und die Einschränkung der Grundrechte sind einstweilen vorbei, doch das Unbehagen bleibt. Aufarbeitung bleibt aus.
Christdemokratische Verlässlichkeit
Salto Rückwärts: Die Bundesrepublik Deutschland in ihrer alten Form – ungefähr bis einige Jahre nach dem Millenniumswechsel – war ein in der Wurzel geprägtes christdemokratisches Land. Vielleicht ein Faktor, der das anzeigt: Während die meisten christdemokratischen Kanzler eher langlebig waren, wurde man sozialdemokratische Kanzler zumeist recht leicht wieder los. Tatsächlich fragte man sich einst im Ausland, ob die Christdemokraten überhaupt zulassen würden, dass nach der Wahl 1968 ein Sozialdemokrat Kanzler werde. Man ließ es zu. Die Konservativen waren in der Demokratie angekommen. Die Sozialisten sind es bis heute nicht. Das Aufkommen „UnsererDemokratie“, die der Volksdemokratie (Made in „DDR“) nicht unähnlich ist, zeigt, wohin der Weg geht, wenn wir diesen Sonderzug nach Pankow nicht schleunigst stoppen.
Noch immer sind die Wurzeln und zahlreiche Ausprägungen aus diesen in Deutschland christdemokratisch. Bonn, wir haben ein Problem. Leider gibt es im deutschen Bundestag in Berlin nur noch wenige christdemokratische Abgeordnete, die sich natürlich mehrheitlich in der Unionsfraktion finden. Diese sind bei Licht betrachtet inzwischen Exoten in der einst eigenen Partei. Es ist kein Geheimnis, dass Angela Merkel die CDU von christdemokratischen Prinzipien entkernt hat. Angefangen vom christlichen Menschenbild über ein christliches Familienbild bis hin zu einer christlichen Sozialethik, die in der Spannung von Subsidiarität und Solidarität lebt, hat die CDU in Theorie und Praxis alles verloren, was eine christdemokratische Partei im Kern prägen sollte. Ein – man kann gerne sagen katholisches – et et machte den Reiz der Sache aus. Natürlich dürfen Christen Patrioten sein, sie sollten es sogar, doch der Nächste ist – gerade in einer globalisierten Welt – auch immer der, der meine Hilfe braucht. Migrationspolitik mit Augenmaß ist der wahrhafte Gegensatz sowohl zu Grenzen ganz dicht und Grenzen ganz auf. Wer braucht wirklich Hilfe und wer will uns nur ausnutzen? Ehrlichkeit bei Beantwortung dieser Frage anzustreben ist garantiert nicht unchristlich.
Leben und leben lassen
Eine Ökologie, die die Ökonomie nicht tötet, aber die nicht zu einer Ökonomie wird, die die Ökologie tötet, das ist der Gegensatz zur grünsozialistischen Klimaideologie eines Green Deal. Ein Bild von der Familie, die die Gründung und den Erhalt der christlichen Familie aus Mann, Frau und Kindern fördert, ohne – wie es einem säkularen Staat geziemt – alternative Familienmodelle über Gebühr zu benachteiligen, zeugte von gesellschaftspolitischer Weisheit. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Es gibt zahlreiche Felder der Politik, denen eine seriöse christdemokratische Fundierung gut täte.
Nur zu gerne wird im „Kampf gegen Rechts“ einem wichtigen Bestandteil von „Unsere Demokratie“ genau jenen, die alte CDU zurückhaben wollen, unterstellt, sie seien AfD-nah, -affin, wähler, wasauchimmer. Letztendlich behauptet ja die AfD die CDU der 80er Jahre zu sein. Die sollten sich besser nicht von Helmut Kohl erwischen lassen! Zum einen sind sie es nicht. Sie sind weder konservativ noch christdemokratisch. Am ehesten sind sie eine liberal-rechtspopulistische Partei, wenn man eine eher klassische Einordnung versuchen will. Man erkennt es leicht, so einfach ist das nicht. Der Kern der AfD ist eben in großen Teilen immer noch Luckes Professorenpartei, die sich einer Anreicherung um einen braunen Bodensatz nicht rechtzeitig und nicht hinreichend erwehren konnte. Das mit Austritt verbundene Scheitern der Vorsitzenden Lucke und Petry ist sprechend. Es bleibt dabei, dass die AfD ein politisches Kind von Angela Merkel ist. Sie hat diese Partei, die mehrfach am Ende war, mit immer neuen problematischen bis prekären Regierungsentscheidungen zu jeweils neuer Größe gefüttert. Dass es Bundeskanzler Merz nicht gelingt, die politischen Futtertröge der AfD zu schließen, ist eines der Dramen der gegenwärtigen Regierung.
Für Christen im Grunde nicht wählbar
Die AfD ist nicht einheitlich, nicht homogen. Das ist so gut wie keine Partei. In Teilen ihrer Spitzenkräfte ist sie völkisch-nationalistisch. Dieser Begriff ist nicht polemisch, er ist wohldefiniert. Gemeint ist etwas holzschnittartig eine Sicht der Überlegenheit – in Fragen von unter anderem Kultur, Bildung(sfähigkeit), ökonomischem Potential – einer bestimmten zur Nation gewordenen Volksgemeinschaft, die diese über andere Menschen erhebt. Das ist noch kein Rassismus. Selbiger erweitert den Völkischen Nationalismus noch um eine Rassetheorie, die die jeweils eigene Rasse (oder was man dafür hält) den anderen Rassen als überlegen ansieht. Es gibt diese Sichtweisen in der AfD nicht nur unwidersprochen, sondern auch teils aktiv in den Charakter der Partei integriert. Man muss dabei so ehrlich sein, dass diese Feststellung weder auf alle noch auf die Mehrheit der AfD-Mitglieder und erst recht nicht auf deren Wähler zutrifft.
Dennoch baut dieser Umstand ein hinreichend hohes Hemmnis auf, das es dem verunmöglichen sollte, die AfD als Christ mit gutem Gewissen zu wählen. Dass dies dennoch geschieht, steht auf einem anderen Blatt. Die Kirche sollte, statt gegen AfD-Wähler in ihren Reihen zu pöbeln, lieber Ursachenforschung betreiben. Selbiges gilt im Übrigen für viele politische und gesellschaftliche Kräfte im Land.
Der Verlust der politischen Heimat
Nach diesem langen Textteil weiß ich immer noch nicht, wo ich bin. Die CDU ist im gegenwärtigen Zustand nicht mehr meine politische Heimat. Ein langer Entwicklungsprozess aus einer Kindheit heraus in einem Land der beinahe unbegrenzten Möglichkeiten hat mich gelehrt zu verstehen, was Christdemokratie im Kern bedeutet. Deutschland ist nicht und war es nie, ein laizistischer Staat. Das ist gut so, denn im Abendland ist das Staatswesen so wie es heute ist, aus christlichen Grundsätzen hervorgegangen. Einer, vielleicht der wichtigste, Grund ist die Quelle des geschriebenen Rechts im Staat, nämlich Natur und Vernunft. Das Wissen über die Natur haben wir sowohl aus der Heiligen Schrift als auch aus den Naturwissenschaften, sehr viel mehr noch aus der Philosophie, die der Vernunft in nachvollziehbaren Bahnen nachgeht und diese dem Menschen erschließt. Drei Hügel sind es, auf denen das Abendland und damit am Ende die Christdemokratie gebaut sind. Die Akropolis lieferte uns das griechische Denken, das Capitol bescherte uns das römische Recht und von Golgotha geht die Erlösung des Menschen aus. Aus jenem Zusammenfluss von Denken, Recht und dem Heil, das von Gott kommt, erwuchs über die Jahrhunderte, was angereichert durch die Aufklärung am Ende dann in eine freiheitlich demokratische Gesellschaft mündete, die uns das Grundgesetz bescherte. Auch wenn sich die Kirche zu Beginn mit der Demokratie schwertat, es ist das Christentum, das sie in der modernen Form hervorgebracht hat. Christlich geprägte Demokraten, das nach einer Folge von Monarchen von Gottes Gnaden keine Selbstverständlichkeit und es ist und bleibt ein Experiment. Gegen einen Monarchen von Gottes Gnaden gibt es keinen Einwand, wenn er sich der Gnade und der daraus folgenden Verantwortung bewusst ist. In Großbritannien ist der Souverän der König mit dem Volk gemeinsam. Es funktioniert. In Deutschland ist es aus der Geschichte heraus das allein das Volk. Geschichte ernst zu nehmen bedeutet, verbietet Restauration um jeden Preis ebenso wie das Verschmähen anderer Traditionen. Mögen die Engländer sich ihre Monarchie lange bewahren. Deutschland hat sie (leider) verloren. Mag ein britischer, spanischer, niederländischer Christdemokrat auch Monarchist sein dürfen, der deutsche kann es nicht (so einfach). Bei aller Sympathie für das Haus Habsburg, gegenwärtig ist kein deutscher König in Sicht.
Was bleibt? Es bleibt ein Ernstnehmen einer christdemokratischen Heimatlosigkeit, ohne aufzugeben, Christdemokat zu sein. Nicht mehr nur in politischen Parteien sammeln sich Christdemokraten. Auch in Gruppen wie der CDL finden sie sich ein. Ja, auch wenn jetzt alle wackeren Streiter gegen Rrrrächts im Strahl kotzen, selbst in der AfD mag sich der eine oder andere Christdemokrat finden. Ob es eine neue christdemokratische Parteigründung geben kann, sei dahingestellt. In ganz Europa ist – oder war, das ist die große Frage – die CDU die letzte christdemokratische Volkspartei.
Politischer Kompass und gesellschaftliche Koordinaten
Wo bin ich? Oder besser was bin ich? Nach wie vor ein Christdemokrat. Vertreter der katholischen Soziallehre, des christlichen Menschenbildes, Verfechter der Freiheiten im Sinne der Grundrechte unserer Verfassung. Unfertig, fehlbar, suchend und denkend bis zum letzten Atemzug. An ewige Wahrheiten glauben wir Christen dann und nur dann, wenn wir über den von Gott offenbarten Glauben reden. In vorletzten Fragen, das sind alle Fragen des Zusammenlebens der Menschen im Diesseits gibt es Wahrheit nur zu zweit. Jeder muss mit jedem reden. Alles andere endet in der Diktatur.
Damit macht man sich für die Protagonisten von „UnsereDemokratie“ verdächtig.
Aber dies Risiko gehe ich ein.